Zahra's Paradise

Eine Nation sucht sich selbst

12. Juni 2009: Der bisherige iranische Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad ist mit überwältigender Mehrheit der Wählerstimmen bestätigt worden. Über 63 Prozent sollen es gewesen sein – so jedenfalls die offizielle Version. Die Folge waren Massenproteste in Irans Grossstädten; der grösste fand drei Tage nach der Wahl mit über einer Million Teilnehmern auf dem Azadi-Platz in Teheran statt. Polizeikräfte griffen mit aller Härte durch – insgesamt dürften bei den Demonstrationen in jenem September mindestens 36 Personen umgekommen sein. Tausende wurden verhaftet und verschleppt; von zahlreichen fehlt seither jede Nachricht.

 

«Zahra's Paradise – Die Grüne Revolution im Iran und die Suche einer Mutter nach ihrem Sohn» (Knesebeck, zirka 20 Euro/ 29 Franken) von Amir und Khalil knüpft am Tag nach dem grossen Protest in Teheran an. In kurzen Kapiteln, die ursprünglich auf einem Blog publiziert wurden, zeichnen die beiden Autoren die lange und schmerzliche Suche nach dem 19-jährigen Mehdi nach, der am Umzug teilgenommen und nicht mehr nach Hause zurückgekehrt war. Als Erzähler und Hauptakteur fungiert Mehdis älterer Bruder, der seine Mutter – eine engagierte und couragierte Frau – mit allen Kräften beim schier aussichtslosen Unternehmen unterstützt und den Leser an seinen ideologiekritischen Gedankengängen teilhaben lässt. Im Zuge seiner Recherche kommt die Fratze des perfiden iranischen Machtsystems widerholt mit aller Deutlichkeit zum Vorschein.

 

Amir und Khalil betonen in ihrem Nachwort, dass sie sich den noch nicht lange zurückliegenden Begebenheiten zwar «durch das Prisma der Fiktion» genähert haben» – und kommen dennoch zum Schluss: «Als die Schöpfer von ‹Zahra's Paradise› können wir nicht so tun, als gebe es keine Verbindung zwischen Fiktion und Realität. [...] Eines ist sicher: Wörter und Bilder haben die Kraft, Wahrheiten aufzudecken, die sehr dicke Mauern durchbrechen können.» «Zahra's Paradise», dessen halbrealistischer Zeichenstil und die Grauton-Kolorierung frappant (im positiven Sinne) an den Altmeister Will Eisner gemahnen, ist ein beeindruckendes und zugleich beunruhigendes Werk, das fassungslos macht. (scd)

 

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Existenzen und andere Abgründe

Düstere Ode an die Hoffnungslosigkeit

Die Umrisse zweier Menschen, durch die Detonation der Atombombe über Hiroshima am 8. August 1945 an die Überreste einer Hausmauer gebannt. Von einem Soldaten fotografiert, geht das Dokument als Sinnbild für die Grausamkeit des Kriegs und die Wahrung der Menschlichkeit um die Welt. Doch die Hinweise verdichten sich immer mehr, dass die bisherige Deutungsweise des Bildes komplett falsch ist – statt der Szene eines liebenden Sohns, der seine Mutter massiert, hat sich ein bestialischer Akt einer Erdrosselung ins Mauerwerk gebrannt. Diese Erkenntnis ist nicht nur schockierend für die Weltöffentlichkeit, sondern stürzt auch den Urheber des Fotos in eine tiefe Sinn- und Lebenskrise.

 

Ein Schamhaar einer Schülerin für den Seelenfrieden, Sexpuppen in der U-Bahn, Affenliebe, orale Befriedigung von einer Meerjungfrau, Wahnsinn, Tod: «Existenzen und andere Abgründe» (Carlsen, zirka 20 Euro/29 Franken) von Yoshihiro Tatsumi ist wahrlich keine einfache Kost und wirklich nur etwas für eine erwachsene Leserschaft. Wer sich zum Dunklen hingezogen fühlt, für den dürfte «Existenzen» – eine Sammlung von Kurzgeschichten, die in den 1970er-Jahren zum ersten Mal publiziert worden ist – der siebte Himmel darstellen: Selten hat man ein so düsteres Szenario und derart kaputte Charakteren gesehen, denen das Schicksal mehr als übel mitspielt. Auf das Frühjahr 2012 ist ebenfalls bei Carlsen die 850 Seiten starke Autobiografie «Gegen den Strom» von Tatsumi, der als Begründer des Gekiga-Genres angesehen wird, angekündigt. (scd)

 

Mehr Infos zu Tatsumi und seinem Werk (english) »

Kaplan & Masson 1: Die Chaostheorie

Heisse Kämpfe im kalten Krieg

Paris, Mitte der Fünfzigerjahre: Die beiden Wissenschaftler Alfred Bernstein und Jason Pucell, beide massgeblich an der Entwicklung der Atombombe beteiligt, plagen Schuldgefühle aufgrund der tausenden Toten von Hiroshima und Nagasaki. Um der Welt weiteres Leid zu ersparen, wollen sie mit weiteren namhaften Wissenschaftlern eine Friedenskonferenz gründen, welche die beiden Supermächte des Kalten Kriegs dazu bewegen soll, auf Nuklearwaffen zu verzichten. Doch nach und nach kommen die Wissenschaftler auf mysteriöse Weise zu Tode. Der junge Wissenschaftler Nathan Masson und Etienne Kaplan vom französischen Geheimdienst nehmen die Ermittlungen auf.

 

Mit dem ersten Band von «Kaplan & Masson» (Carlsen, zirka 12 Euro/18 Franken) ist dem französischen Duo Didier Convard und Jean-Christophe Thibert eine bande dessinée im guten alten Stil gelungen. Die Geschichte um gefährdete Wissenschaftler wird mit kräftigen Farben und eher kleinformatigen Panels dargestellt. Diese lassen einige Seiten stellenweise etwas überladen wirken. Der Band erinnerte an die Comic-Serie «Blake & Mortimer», die ähnliche Protagonisten hat. Vom Gewaltaspekt und dem historischen Hintergrund ist «Die Chaostheorie» aber wahrscheinlich eher für ältere Leser gedacht. Interessant sind ebenfalls die Referenzen an historische Persönlichkeiten. So muss man nicht Atomphysiker sein um zu erkennen, dass mit der Figur Alfred Bernstein eigentlich Albert Einstein gemeint ist. Eine spannende Lektüre für Fans von Reihen wie «Blake & Mortimer» und klassischen Agentengeschichten – zudem erwartet den Leser eine unerwartete Auflösung. (ras)

Patchwork

Was nicht passt, wird passend gemacht

Seit ihr Labor für streng geheim erklärt worden ist, hat die Transplantations-Forscherin Waldbeck keine Freude mehr an der Arbeit und fühlt sich einsam. Eine Familie muss her, doch die biologische Uhr von Waldbeck ist bereits abgelaufen. Was liegt da näher, als sich selber eine – im wahrsten Sinne des Wortes – zusammenzunähen?

 

Nach «Ein Mann geht an die Decke» überrascht die deutsche Newcomerin Katharina Greve mit «Patchwork – Frau Doktor Waldbeck näht sich eine Familie» (Gütersloher Verlagshaus, zirka 15 Euro/22 Franken) erneut überaus positiv mit einem originellen und unverbrauchten Szenario. «Patchwork» hätte auch eine Horror-Geschichte werden können; doch Greve verkehrt das nur zu oft bemühte «Mad Scientist»-Schema gerade ins Gegenteil um und zeigt eine herzensgute, etwas in die Jahre gekommene Wissenschaftlerin, die sich einfach nach etwas Nähe sehnt und das, was sie am besten kann, dafür einsetzt. Um dem Ganzen noch mehr Pepp zu geben, wittert die Regenbogen-Presse natürlich eine Topstory («Freak-Familie: Nachbarn in Angst»); und auch ein ruchloser Rüstungskonzern schickt seinen (ungleich weniger ruchlosen) Häscher aus, um Waldbecks Wissen für seine Zwecke nutzbar zu machen. Der wiederum extrem stilisierte Zeichenstil und die sparsame Farbgebung dürften zugegebenerweise nicht jedermanns Sache, dieser passt aber prima zum ironischen Grundton. Gewagt, spritzig, unkonventionell: «Patchwork» hat ein Publikum verdient! (scd)

 

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Die Odyssee

Der entfaltete Irrfahrer

Mit «Moby-Dick», «20'000 Meilen unter dem Meer» und «Frankenstein» hat er es bereits getan. Jetzt widmet sich Sam Ita mit «Die Odyssee – Ein Pop-Up-Buch» (Knesebeck, zirka 30 Euro/44 Franken) einem weiteren Klassiker, dem er in Comicform unter Anwendung der Pop-Up-Technik neues Leben einhaucht. «Die Odyssee» ist zweifelsohne Itas Opus Magnum geworden. Wie er etwa dreidimensional darstellt, wie der Pflock ins Auge des Polyphem getrieben wird oder Circe einen der Gefolgsleute des Irrfahrers in ein Schwein verwandelt, dürfte kaum zu überbieten sein und bei jedem Leser für Staunen sorgen.

 

Nach wie vor allerdings nicht ganz über alle Zweifel erhaben sind Itas zuweilen eigentümlicher Zeichenstil, die Güte der Verkürzung des Plots sowie die manchmal etwas unklare Lese-Reigenfolge. Doch an erster Stelle steht ja das visuelle Erlebnis, und in dieser Hinsicht kann «Die Odyssee» uneingeschränkt punkten. (scd)

 

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Neonomicon

H.P. Lovecrafts Vermächtnis

15 exakt nach demselben Muster durchgeführte Ritualmorde, 3 verschiedene Täter, die nichts miteinander gemein haben: FBI-Agent Aldo Sax ist eine Legende auf dem Gebiet, Verknüpfungen zwischen scheinbar unzusammenhängenden Fällen herzustellen. Seine Ermittlungen führen ihn in den Kreis einer Subkultur, die auf dem Cthulu-Mythos des Schriftstellers H.P. Lovecraft gründet. Schon bald zeichnet sich ab, dass es für Sax keinen Ausweg aus dem Strudel von Rockmusik, Sex, Drogen und Gewalt gibt. Agent Brears und Gordon müssen bald darauf schmerzhaft am eigenen Leib erfahren, dass die schleimigen Wasserwesen aus Lovecrafts Romanen keineswegs der Einbildungskraft des Horrorautor entsprungen sind.

 

Bewusstseinserweiternde Drogentrips, (im wahrsten Sinne des Wortes) monströse Mehrfach-Vergewaltigungen, Brutalität und Wahnsinn: «Neonomicon»  (Panini, zirka 17 Euro/23 Franken) von Alan Moore und Jacen Burrows ist kein Comic für jedermann – so viel steht fest. Zu Recht wird die Lektüre vom Verlag ab 18 Jahren empfohlen. Wer keine Berühungsängste, was explizite Darstellungen von Sex und Gewalt anbelangt, kennt und offen für Experimente ist, dürfte vom für anspruchsvolle Literatur stehenden Autornamen Alan Moore auf jeden Fall einmal mehr – wie schon bei «Watchmen», «From Hell», «V wie Vendetta», «Lost Girls» und anderen seiner Werke – nicht enttäuscht werden. Moore präsentiert in diesem One-Shot ein komplexes Werk, gespickt mit zahllosen intertextuellen Verweisen auf das Oeuvre des amerikanischen Horror-Autors H.P. Lovecraft (1890–1937) und kommentierenden Aussagen der Figuren zu dessen Leben und von sexuellen Traumata und Rassissmus geprägten Weltanschauung. Der von Off-Ton dominierte erste Teil, der im «Akron»-Drogenrausch von Aldon Sax (der annimmt, er habe es mit der Substanz DMT zu tun) gipfelt, überzeugt mit seiner Zeichnung einer dekadenten Gesellschaft, der mysteriösen Grundstimmung und philosophischen Einwürfen ohne Einschränkungen. Etwas weniger gute Noten erhält der zweite Teil, in dem die Geschichte mit dem Auftauchen des (realen!) sextollen Ungeheuers aus dem Meer vollends ins Fantastische abdriftet. Auch der nach dem Muster konventioneller Horror-B-Movies gehaltene Schluss stellt nicht ganz zufrieden. Lobend  zu erwähnen ist indes noch Jacen Burrows konventionell-realistische Grafik, die den Plot mit ihrer unaufdringlichen und dennoch detaillierten Art und der düsteren Farbgebung aufs beste unterstützt. (scd)

 

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The Unwritten 1

Leben zwischen den Zeilen

Auf Tom Taylor lastet kein einfaches Erbe: Nach dem spurlosen Verschwinden seines Vaters, einem höchst erfolgreichen Fantasy-Autor vom Format einer Joanne K. Rowling, muss er dessen Nachlass verwalten, sprich: von Signierstunde zu Signierstunde wandern, was langsam aber sicher an den Nerven des jungen Mannes zehrt. Das hat auch damit zu tun, dass als Vorbild für Tommy, die Hauptfigur der Serie (quasi ein Pendant zu Harry Potter), anscheinend ganz klar Tom als Kind herhalten musste. Für viele Fans ist deshalb der fiktive Tommy deckungsgleich mit dem realen Tom. Was für die Vermarktung auf den ersten Blick sein Gutes haben mag, wird immer mehr zum Problem: Fanatische Anhänger attestieren Tom wirkliche Zauberkräfte, und es es geht nicht lange, bis ein Geisteskranker sich die Rolle des Bösewichtes der Serie selber auf den Leib schreibt und Tom ans Leder will. Dieser muss bald erkennen, dass dies erst ein Vorgeschmack auf weitere existenzbedrohende Unahnnehmlichkeiten war.

 

«The Unwritten oder das wirkliche Leben» («Tommy Taylor und die gefälschte Identität», Panini, zirka 17 Euro/23 Franken) von Mike Carey und Peter Gross darf zweifelsohne zu einer der vielversprechendsten neuen Serien des laufenden Jahres auf dem Markt gezählt werden. Der Ansatz des Hereinbrechens der Fiktion in die Realität ist innovativ und weist enorm grosses Potenzial auf. Die intelligente Schreibe und auch der halbrealistische Zeichenstil von Peter Gross gefallen. Wie schon bei der vor ein paar Monaten neu gestarteten, ebenfalls empfehlenswerten Serie «House of Mystery» stellt sich einschränkend höchstens auch hier die Frage, ob die weitere Entwicklung der Story auf dem hohen Niveau des Anfangs gelingen mag. (scd)

 

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Will Eisner Bibliothek: Lebensbilder

Autobiografisches vom Altmeister

«Lebensbilder» (Carlsen, zirka 36 Euro/50 Franken): So heisst der dritte dicke Sammelband der «Will Eisner Bibliothek». Nach Mieter- und Grossstadtgeschichten stehen diesmal autobiografisch gefärbte Plots im Fokus. Der Band beinhaltet unter anderem die keinem Genre und keiner Länge verpflichteten Geschichten «Der Träumer» und «So läuft das Spiel» – und selbstredend die Graphic Novel «Zum Herzen des Sturms» (1991), das gemeinhin als Hauptwerk des späten Schaffens Will Eisners angesehen wird.

 

Als Klammer für die 200-seitige, gewohnt monochrom ausgeführte Story dient eine lange Zugfahrt zur militärischen Ausbildung im Jahr 1942, auf der Will Eisners Alter Ego vor seinem geistigen Auge die gesamte Familiengeschichte Revue passieren lässt: von den Schwierigkeiten des Vaters, einem jüdischen Einwanderer, im «Land der Freiheit» Fuss zu fassen und finanziell über die Runden zu kommen, über die eigene Kindheit und Jugend – das Schlüsselereignis: der Bau eines eigenen Segelboots – bis hin zum mit Steinen gespickten Weg, sich als Comiczeichner seinen Lebensunterhalt zu verdienen. – Noch immer überzeugt Eisners grandioses Erzähltalent und seine Technik des randlosen Layouts und der variablen Panelgrössen und -arten. Uneingeschränkte Leseempfehlung! (scd)

 

Schwerpunkt zum ersten Sammelband »

Papa Moll im Verkehrshaus

Familie Moll auf PR-Tour?

«Papa Moll im Verkehrshaus»  (Globi Verlag, zirka 15 Euro/22 Franken): So lautet der Titel des 24. Abenteuers der quirligen Familie rund um das gutmütige, rundliche, glatzköpfige Herrchen im blauen Frack. 1952 von Edith Oppenheim-Jonas erfunden, wird die Reihe inzwischen von einem neuen Autorenteam weiter- geführt; auch eine Verfilmung unter der Federführung der hiesigen Erfolgsschmiede Zodiac Pictures befindet sich in Planung. 

 

Im Grossen und Ganzen ist der vorliegende Band eigentlich ganz in Ordnung – auch wenn der Charme und Witz der Anfänge, welche noch aus für sich allein stehenden, slapstick-artigen Szenen anstelle einer zusammenhängenden Story bestanden, selbstredend nie und nimmer erreicht wird. Auch lässt das Niveau der zeichnerischen Darstellung der Moll-Figuren leider regelmössig zu wünschen übrig. Und Hintergründe, die über die typischen Photoshop-Farbverläufe hinausgehen, sucht man meistens vergebens. Ebenfalls stellt sich wie bei «Globi» die Frage, ob die Versform heutzutage zur Erzählung (und zum Vorlesen ohnehin!) noch taugt. Am meisten Skepsis hatte ich jedoch in Bezug auf den Umstand, dass die Handlung im Verkehrshaus der Schweiz spielt. Eine Werbeoffensive – für die man noch zahlt –, um bereits die Kleinsten als künftige Besucher zu akquirieren (was ja an sich durchaus originell und innovativ wäre)? Nach der Lektüre plädiere ich diesbezüglich für eine unverkrampfte Sichtweise – immerhin handelt es sich mit jährlich gegen einer Million Gäste ja tatsächlich um das meist besuchte Museum der Schweiz. Und wo genau Papa Moll wieder einmal Opfer seiner Tollpatschigkeit wird, kommt ja letztlich eigentlich gar nicht so drauf an. Zum Buch ist übrigens unter demselben Titel auch wieder ein werktreues Hörspiel – wiederum in gewohnt hoher Qualität, hier darf bedenkenlos zugegriffen werden – erschienen. (scd)

 

Die «Moll»-Bände im Überblick »

Exterminators 5: Bug Brothers Forever

Es hat sich ausgekrabbelt

Das lange Warten hat sich gelohnt: Die 2008 gestartet Serie «Exterminators» findet mit den Episoden zwanzig bis vierundzwanzig einen würdigen Abschluss. Im Finale der ausgefallen Geschichte rund um die schrulligen Kammerjäger werden noch einmal alle Register gezogen, welche die Serie auszeichnen und lesenswert machen. Der letzte Band «Bug Brothers Forever» (Panini, zirka 20 Euro/26 Franken) der von Tony Moore und Simon Oliver erdachten Serie startet mit einem Rückblick auf einen harmlosen Kreuzfahrturlaub, der sein abruptes Ende in einer biblischen Schmetterlingsplage findet. Wieder in der Gegenwart angelangt, erhalten die Leser einen Einblick ins groteske Jenseits der Pharaonen.

 

Sowohl inhaltlich als auch zeichnerisch flacht die Story im Mittelteil zwar ab, dank dem rasanten Showdown im Schlusskapitel wird sie aber nochmals aufgefangen. Zu den gewohnt vulgären Dialogen gesellen sich ein paar wirklich ekligen Szenen und eine Prise Obszönität, die einem die Schamröte ins Gesicht treibt. Wer der Bug-Bee-Gone-Truppe auf ihrem abenteuerlichen Weg bis hierher gefolgt ist, wird sie auf den letzten Schritten auch noch begleiten und dabei nicht enttäuscht werden. (sam)

 

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Molokow Beach

Unendliche Weiten als Web-Comic

«Molokow Beach» ist ein Online-Comic, der dreimal wöchentlich mit je einer Seite seine Fortsetzung findet. Seinen Anfang hat das Projekt im Rahmen einer Diplomarbeit genommen – mittlerweile sind 56 sehr professionell wirkende Seiten, die dem Universum gleich niemals enden sollen, zur kostenlosen Lektüre aufgeschaltet. Die collagen-artig aufbereitete Stoff passt auf den ersten Blick in die Science-Fiction-Schublade. Im Laufe der Geschichte, in welcher der Protagonist Mr. Vasquez versucht, sein Gedächtnis wiederzuerlangen und das Universum zu retten, zeigt sich jedoch, dass eine eindeutige Genre-Zuordnung zum Scheitern verurteilt ist.

 

Die Gestaltung der Site kommt schlicht und funktional daher. Ein Klick auf die grosse Seite in der Mitte verwandelt diese in HD-Qualität im Grossformat, wodurch die aufwendig bearbeiteten Fotocollagen noch besser zur Geltung kommen. Verwirrend ist einzig, dass sich die erste Seite in der Seitenleiste zuunterst befindet und man die Geschichte chronologisch von unten nach oben liest. Was für Neueinsteiger gewöhnungsbedürftig ist, macht fürs ganze Projekt durchaus Sinn, da nicht für jede neue aufgeschaltete Seite nach unten gescrollt werden muss.

 

«Molokow Beach» wird von Norman Glitz und Philipp Niggemeier gestaltet, die auf Ihrer Hompage «phine.licht.com» eine Werbeagentur betreiben und neben der sequenziellen Kunst auch gestalterische und musikalische Projekte präsentieren. Ein Besuch auf ihrer Seite lohnt sich in jedem Fall. (sam)

 

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Kurz und knapp

Bigotter Vertreter der Dreifaltigkeit

Intrigieren, eliminieren, kopulieren: Das sind die Stärken des durch widrige Umstände an die Macht gekommenen Julius II, Papst im frühen 16. Jahrhundert. Und es sieht ganz danach aus, dass daran auch die Bekanntschaft mit Michelangelo auf Dauer nicht viel daran ändern wird. Der zweite Band von «Der schreckliche Papst» («Julius II.», Splitter, zirka 14 Euro/22 Franken) von Alejandro Jodorowsky und Theo lässt nichts aus, wenn es darum geht, die Verderbtheit Ihrer Heiligkeit und die Dekadenz der Geistlichen generell schonungslos und explizit zu zeigen. Wer einen Funken Gläubigkeit in sich hat, macht darum wohl besser einen weiten Bogen. (scd) Ausführlichere Besprechung des ersten Bandes » / Infos & Leserprobe »

Geschmäcklerische Literaturadaption

Ui ui ui: Entweder man liebt sie oder man hasst sie, die gleichnamige Comic-Adaption von E.T.A. Hoffmanns Kriminovelle «Das Fräulein von Scuderi» von 1819/21 aus der Feder von Alexandra Kardinar und Volker Schlecht (Edition Büchergilde, zirka 25 Euro/33Franken). Etwas dazwischen gibt es nicht – und das hat auch seinen guten Grund: Nicht nur kommt die statische Collage-Grafik extrem gewöhnungsbedürftig daher, auch dass sich das Duo beinahe sklavisch an den Text der Vorlage hält, dürfte nicht bei jedermann Anklang finden. Wenigstens macht es Sinn, dass das «Original» – in einer kommentierten Fassung – die Hälfte des Bandes ausmacht. Der Band ist extrem liebevoll gemacht und bibliophil ausgestattet, aber das Publikum ausserhalb des literatur- wissenschaftlichen Zirkels dürfte extrem rar gesät sein. (scd)

Invalider auf Heldentour

Mit dem 2. Band der Gesamtausgabe liegt «Alef-Thau» (Ehapa, zirka 30 Euro/44 Franken) von Alejandro Jodorowsky und Arno/Al Covial komplett vor. Gerade bei der Lektüre der hier vereinigten Alben 5–8 wird überdeutlich, was sich bereits ab Album 3 angedeutet hat: Es handelt sich um ein leider oft unmotiviertes Aneinanderreihen von Begegnungen mit komischer Viechern, angereichert mit esoterischem Gesülze. Auch die erstmals auf Deutsch vorliegenden Alben 7 und 8 stellen leider – bei aller Sympathie für das Werk Jodorowskys – keine Bereicherung dar: Dass am Ende alles nur ein Tagtraum eines Comiczeichners gewesen sein soll, ist ausgesprochen plump. Nach wie vor irritiert, welche Klientel mit «Alef-Thau» angesprochen werden soll: Teenies (dann wärs zu brutal) oder Erwachsene (dann zu wenig komplex). (scd)

Schatztruhe für Nostalgiker

Spirou und Fantasio sind keine Geschöpfe Franquins, das weiss man inzwischen. Im Spezial-Band «Auf Weltreise» (Carlsen, zirka 12 Euro/18 Franken) sind nun die allerersten Abenteuer des pfiffigen Pagen aus der Feder von Robert Velter alias Rob-Vel versammelt. Den erstmals chronologisch und vollständig in Farbe auf Deutsch veröffentlichten Geschichten mit Start am 21. April 1938 haftet ein sympathischer Retro-Charme an, auch wenn die Storys an sich kaum mehr konsumerabel sind. Aus der Sicht des heutigen Lesers dürfte vor allem das Mitverfolgen der Entwicklung des kecken Protagonisten spannend sein, der von klassischen Funny-One-Pagern im Bereich des Hotels schliesslich zu längeren Abenteuern findet, die ihn rund um den Globus führen. Schade ist, dass die letzte Story in der Mitte mit dem Verweis, dass die Fortführung im nächsten Spezial-Band folge, abrupt abbricht. (scd)

Der Bohrinsel-Unfall, der keiner war

David Schraven und Vincent Burmeister stellen in «Die wahre Geschichte vom Untergang der Alexander Kielland» (Carlsen, zirka 20 Euro/29 Franken) eine gewagte These auf: Das (authentische) Kentern der englischen Bohrinsel dieses Namens im März 1980, was 123 Opfer forderte, sei nicht infolge des maroden Tragwerks geschehen. Vielmehr war es ein vom Leben bitter enttäuschter Arbeiter, der seine Kumpanen mit Sprengzündungen in den Tod geschickt hat. Der Band im Querformat überzeugt durch die oft seitengrossen, randlosen Panels, die stimmige Kolorierung sowie die Erzählung im Off aus der Sicht des Täters. Sofern man keine moralische Skrupel in punkto Geschichtklitterung und Pietät gegenüber den Hinterbliebenen und Überlebenden der realen Tragödie hat: Halt etwas rasch ausgelesen, aber wirklich zu empfehlen. (scd)

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