Affentheater

Tiefschwarze Gedanken, zwei Generationen nach Franquin

Sodomie mit den Elefanten im Tierpark, Duell auf Leben und Tod beim Jahrestreffen der Säbelschlucker, eine Behinderten-Orgie (Losung: «Fuck my eye!»), ein in Szene gesetzter (und auch tatsächlich ausgeführter) Suizid mit Pickelhaube und Aluminiumbumerang: Dies sind nur einige der an Absurdität kaum zu überbietenden Situationen, in zwei namenlose (und vom Zeichenstil her auch beinahe gesichtslose) «Porträtfotografen» unverhofft geraten oder die von diesen aktiv aufgesucht werden.

 

So skizzenartig und unfertig der Stil des gleichberechtigten Autoren-/Zeichnerduos Florent Ruppert und Jerome Mulot in «Affentheater» (Edition Moderne, zirka 25 Franken) anmutet, so ein chaotischer Ausbund kreativ-grenzdurchbrechender Energie ist das Werk selber. Dementsprechend darf kein geschlossener Plot im herkömmlichen Sinne erwartet werden, vielmehr handelt es sich um eine lose miteinander verbundene Anreihung von Szenen, von denen eine grotesker ausfällt als die andere – beinahe schön TÜV-zertifiziert politisch inkorrekt und sarkastisch bis zum Abwinken. Unkonventionell sind auch die formalen Einfälle, so etwa die «tierpornographischen Inhalte», welche man mit ein wenig Bastelgeschick entschlüsseln kann oder die ebenfalls realisiert werden könnenden Phenakistiskope (auch als Wunder- bzw. Lebensräder bekannt).

 

Die beiden jungen Autoren bringen unleugbar frischen Wind in die Comicszene – die Episoden um die beiden Fotografen hätten sich gut in den ersten Heften von «Métal hurlant» im Reigen der unter anderem von Moebius publizierten Ergüssen gemacht. Auch Erinnerungen an Franquins Depro-Knüller «Schwarze Gedanken» drängen sich auf. Aufgrund der Absenz eines Plots oder eines Aufbaus könnte sich das Experiment Ruppert/Mulot bei allem Lob aber leider auch als Strohfeuer entpuppen, sofern für Nachfolgewerke – und es bleibt wirklich zu hoffen, dass auch diese den Weg ins Deutsche schaffen – nicht ein neuer Ansatzpunkt gefunden wird. (scd)

 

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Aufzeichnungen aus Birma

Gezeichnete Aphorismen aus der Fremde

So paradox dies auch klingen mag: Je besser gewisse Werke sind, umso (quantitativ) weniger weiss man manchmal darüber zu schreiben. So geschehen im vorliegenden Fall bei «Aufzeichnungen aus Birma» (Reprodukt, zirka 36 Franken). Nach den formidablen Publikationen «Shenzen» (China) und «Pjöngjang» (Nordkorea) veröffentlicht Guy Delisle ein weiteres Werk, in dem er sich aus aus eigener Warte heraus als Fremdling mit einem hier nach wie vor recht unbekannten Land und Kulturkreis auseinander setzt. Den Anlass dazu gab ein Einsatz seiner Frau in Burma für die Organisation «Ärzte ohne Grenzen» (siehe auch «Der Fotograf»).

 

In kurzen Episoden ermöglicht Delisle, sich selber mit seinem kleinen Jungen ausgesprochen stilisiert abbildend, dieses Mal auf Schraffierungen verzichtend, einen äusserst Gewinn bringenden Blick auf Land und Leute – bezüglich der Themen und Herangehensweise meilenweit entfernt von einem konventionellen Reisebericht. Entstanden ist ein ausgesprochen geistreiches Werk, in dem beobachtet, beschrieben und nicht zuletzt auch kritisch hinterfragt wird (auch etwa, was die Expats im Lande anbelangt), ohne Gebrauch vom Mahnfinger zu machen. (scd)

Halb acht Uhr, die Sonne geht auf. Der kleine Louis springt aus dem Bett – mit einem klaren Tagesprogramm vor Augen: Der Dreikäsehoch möchte ans Meer. Gilt es nur noch seinen Vater von diesem Vorhaben zu überzeugen, der (natürlich) noch tief und fest vor sich hinschnarcht.

 

So die Ausgangslage zum beinahe zeitgleich erschienenen Delisle-Band «Louis am Strand» (Reprodukt, zirka 22 Franken), der nach dem Vorgängeralbum «Louis am Strand» mit einem Augenzwinkern, aber durchaus authentisch aufzeigt, wie Kinder im Vorschulalter ticken – überbordende Fantasie inklusive. Delisle ist ein einfühlsames Porträt seiner Vater-Sohn-Beziehung in vielen kleinen quadratischen Panels in Farbe gelungen, wobei er auch mit Seitenhieben gegen sich selbst nicht spart (faul und höchstens beim Anblick barbusiger Badenixen temporär zu Energie findend). Ein nettes Supplement zur Reisetagebuch-Trilogie. Nicht mehr und nicht weniger. Weshalb die beiden Alben der Reihe jedoch als «Comics für Kinder im frühen Lesealter» vermarktet werden, bleibt ein Rätsel. (scd) 

 

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Marvel 1985

Wirklichkeit gewordene Fantasie

1985: In dieser Sattelzeit muss der junge Toby Goodman – ein Comic-Nerd durch und durch, hin und her gerissen zwischen seinen getrennt lebenden Eltern – erfahren, was es heisst, wenn die fiktiven Superschurken aus dem Marvel-Universum plötzlich zu Fleisch und Blut werden und Angst und Schrecken in die reale Welt bringen.

 

Mit «Marvel 1985» (Panini, zirka 29 Franken) von Mark Millar und Tommy Lee Edwards ist – vielleicht von Millers Neo-Flattermann-Serie «All Star Batman» einmal abgesehen – die qualitativ hochwertigste Superhelden-Geschichte seit Monaten erschienen. Obschon der Tradition verhaftet und in gewissem Sinn auch eine Hommage, werden gängige Kategorien gesprengt. Im Rahmen des faszinierenden, auch wenn nicht ganz unverbrauchten Was-wäre-wenn-Szenarios gelingt es Millar, dem Superhelden-Strang einen vielschichtigen und sich nicht in Gemeinplätzen verlierenden Drama-Plot um einen verwirrten Teenager aufzupropfen, ohne dass dabei das Gesamt an Homogenität verliert. Weiterlesen im Schwerpunkt »

The Lone Ranger 1: Für immer und ewig

Wenn Batman ein Cowboy gewesen wäre

Der Texas-Ranger John Raid ist der einzige Überlende eines feigen Hinterhalts, bei dem sein Vater und sein Bruder im Kugelhagel von Banditen ihr Leben lassen. Gefunden und aufgepäppelt vom Indianer Tonto, macht sich der Jüngling – nun maskiert und mit silbernen Kugeln, geschmolzen aus dem Sheriffstern seines Vaters, ausgestattet – daran, die Attentäter rund um den Grossindustriellen John Cavendish aufzuspüren und ihrer (nach den Regeln des Wilden Westens) gerechten Strafe zuzuführen, sprich: diese einer nach dem anderen zu eliminieren.

 

Ja sicher: Diese knappe Inhaltsangabe dürfte unweigerlich Anlass zur Skepsis geben. Doch diese ist nur teilweise berechtigt. Denn vielleicht liegen diese reflexartigen Vorbehalte auch nur darin begründet, dass meine Generation traumatisiert ist von den unzähligen Old Shatterhand/Winnetou-Büchern und -Verfilmungen – die Lobpreisung eines immergleichen Schemas, von dem man bereits als Kind der 1980er-Jahre insgeheim wusste, dass dieses im Grunde heillos antiquiert ist. In Amerika, wo «The Lone Ranger» geradezu als der Inbegriff dieses Musters und wohl quasi als orginale Quelle dieser Konstellation gelten kann, dürfte die Rezeption bestimmt anders ausfallen – schliesslich besteht das Duo Raid/Tonto hier seit 1933 und kann dementsprechend auf eine lange Tradition in Kino, Fernsehen, Rundfunk und Comic zurückblicken.

 

Wenn man vor Augen hält, dass es sich bei der Version von «The Lone Ranger» (Cross Cult, zirka 32 Franken) von Brett Matthews und Sergio Cariello um den Versuch handelt, diesem Mythos neues Leben einzuhauchen, und in Anbetracht dessen, dass gewisse Grundzüge des Plots damit natürlich vorgegeben sind, kann das Experiment durchaus als gelungen betrachtet werden: Entstanden ist ein spannender, temporeicher, harter und erzähltechnisch sehr versiert umgesetzter – gerade der regelmässige Einschub ganzsseitiger Illustrationen überzeugt – Rache-Western, dem es aber auch an ruhigen Momenten nicht mangelt. Dies hat seinen Ursprung auch im überaus formidablen Artwork (zu erwähnen sind hier speziell die Farben von Dean White, die mit ihrem Staub-Look und stimmungsvollen Natur- und insbesondere Himmelbildern ausserordentlich zur Authenzität des Schauplatzes beitragen), das die oft recht konventionell gezeichneten Genre-Kollegen weit hinter sich lässt. Bemängeln liesse sich höchstens, dass die Figur des kompromisslosen Rächers in der Person des recht jungen Raid nicht wirklich glaubhaft herüberkommt und dass die Beweggründe seines indianischen Sidekicks – oder sind die Rollen umgekehrt? – (wenigstens in diesem Auftaktband) vollständig im Dunkeln bleiben; sogar der Name «Tonto» kommt nie vor. Positiv zu erwähnen ist schliesslich der Anhang mit kommentierten Skizzen und einem lesenswerten Essay über die Rezeptionsästhetik der Figur des verwegenen und gerechtigkeitsfanatischen Rangers. (scd)

 

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Thomas der Trommler

Antrommeln gegen die Gräuel des Krieges

Mutter und Vater ermordet, als Jüngling verschleppt und – wie es das Schicksal so will – an die Spitze des feindlichen Heeres gestellt: Dies widerfährt dem hessischen Grafensohn Thomas während des Dreissigjährigen Krieges im 17. Jahrhundert. Dass der Jugendliche überlebt, hat er seinem Protegé Geronimus, seinem Mut und seinem kompromisslosen Einstehen für Gerechtigkeit zu verdanken.

 

«Thomas der Trommler» (Cross Cult, zirka 45 Franken) enthält sämliche Folgen des zuerst im «Yps»-Magazin kontinuierlich erschienenen Historienepos von Peter Wiechmann, schwarz-weiss realisiert von den spanischen Zeichnern Josep Gual und Juan Sarompas. Für Nostalgiker ist der 160 Seiten starke Band, der einiges an Bonusmaterial enthält, ein Muss. Anderen erwachsenen Lesern dürfte der stets mitschwingende, etwa aus dem Wiechmann-Werk «Andrax» nur zu bekannte, penetrant aufklärerisch-moralisiernde Unterton das Vergnügen etwas vergällen. Sofern man gewillt ist, von dieser Eigenart abzusehen, erwartet einem eine fundiert recherchierte und grafisch dynamisch in Szene gesetzte Abenteurer-Mär ganz im Stile von Victor Hubinons «Rotem Korsar», die wirklich grundsolid ist und gerade ein jüngeres Publikum mit ihrer spannenden Handlung enorm in ihren Bann ziehen dürfte. Auch der Preis für das Gebotene kann als wirklich sehr moderat bezeichnet werden. Wiechmann-Anhänger dürfen sich übrigens auf den kommenden August freuen: Dann erscheint nämlich der erste von zwei Sammelbänden seines ebenfalls im «Yps» publizierten «Hombre»-Westerns. (scd)

 

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Wolverine: Logan / Wolverine: Waffe X

Liebe, Verrat und die Atombombe

Hiroshima, August 1945: Wolverine alias Logan gerät während des Zweiten Weltkriegs in japanische Kriegsgefangenschaft. Gemeinsam mit Mithäftling Warren gelingt ihm die Flucht. Wolverine findet Unterschlupf bei der geheimnisvollen Japanerin Atsuko. Warren, dem die entstehende Liebschaft missfällt, greift die beiden an. Es kommt zum Showdown, der jäh von einem hellen Lichtblitz und einer pilzförmigen Wolke beendet wird. 60 Jahre später begibt sich Wolverine wieder nach Hiroshima – um die offene Rechnung zu begleichen.

 

Comic-Kennern werden beim abgeschlossenen Band «Wolverine: Logan» (Panini, zirka 30 Franken) wahrscheinlich als Erstes die prominenten Namen auf dem Einband auffallen. Mit Autor Brian K. Vaughan («Y – The Last Man») und Zeichner Eduardo Risso («100 Bullets»; siehe auch Besprechung unten) wurden zwei zurzeit äusserst erfolgreiche Comic-Schaffende verpflichtet, was die Erwartungen auf ein neues Meisterwerk natürlich hebt. Ganz erfüllt werden diese jedoch nicht. Rissos Zeichnungen sind das gelungenste am Werk. Mit seinem Farbeinsatz trifft er die melancholische Grundhaltung der Handlung perfekt. Vor allem der zu Beginn exzessive Einsatz von Schwarz und das Spiel mit Lichtquellen sind besonders eindrücklich. Im Allgemeinen grenzt sich sein organischer, teilweise sogar kruder Zeichenstil wohltuend von den vielen steril wirkenden Superhelden-Comics ab. Ebenfalls lobenswert ist die Gestaltung, die oft auf Panelabgrenzungen verzichtet. Der Erzählstil mit den konstanten Wechseln zwischen Gegenwart und den damaligen Ereignissen wirkt spannend und ist ein weiterer Pluspunkt. Doch die Story von Autor Vaughan schwächelt: Zwar sind die Ansätze gut gewählt, doch im Gesamten bleiben Figuren und Handlung zu oberflächlich um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. «Wolverine: Logan» ist am ehesten etwas für Fans, welche die emotionale Seite des wilden Superhelden kennen lernen wollen (die derzeit mit «X-Men Origins: Wolverine» auch im Kino gezeigt wird). Für Neuleser wird das Ganze wohl eher ein wenig banal anmuten. (ras)

Passend zum Kinostart ist mit «Wolverine: Weapon X» (Panini, zirka 29 Franken) nun auch die Storyline aus dem Jahr 1991, die als Inspiration für den Film gedient haben soll, in gesammelter Form neu aufgelegt worden. Barry Windsor-Smith erzählt in der «Waffe X»-Episode – untypisch für das Genre im Besonderen und für den amerikanischen Comic im Allgemeinen vollständig im Alleingang –, wie Logan in einer unmenschlich grausamen Laboranlage an seine physischen und psychischen Grenzen getrieben wird. Am Schluss, zum Schlächter geworden und eine Spur der Zerstörung hinterlassend, bleibt ein verbitterter Wolverine zurück, der sich in einem Schneesturm entschwindend auf die Suche nach seinem eigentlichen Wesen macht. Die Grafik versprüht einen wunderbaren Retro-Charme – geradezu eine Antithese zur als Extra angefügten, vor Farbverläufen strotzenden Erinnerungssequenz aus dem Jahr 2001. – Nicht esszenziell, aber durchaus eine Fussnote wert. (scd)

Valley Forge, Valley Forge / Garth Ennis Collection 3

Eine geballte Ladung «Bestrafung»

Zum einen ist da Frank Castle, besser bekannt als Punisher, der nach dem Mord an seiner Familie zu einer in jeder Beziehung kompromisslosen Ein-Mann-Armee geworden ist. Zum anderen sind da mehrere hohe Militärs, Regierungsverräter, die auch vor Anschlägen im eigenen Land nicht zurückschrecken, um den «Kampf gegen den Terror» zu gerechtfertigen. Und ebendiese haben noch eine offene Rechnung mit dem Kraftprotz mit dem Totenkopf-Leibchen zu begleichen – der sich (natürlich und einmal mehr) als viel cleverer und kampferprobter als gedacht entpuppt. Und auch die Annahme, der Punisher würde keine amerikanischen Armeeangehörigen töten und könne daher von solchen ob kurz oder lang gestellt und eliminiert werden, stellt sich als fataler Denkfehler heraus.

 

Nein, von schlechten Eltern ist «Valley Forge, Valley Forge» (Panini, zirka 29 Franken) bestimmt nicht: Garth Ennis hat zum Abschluss seines «Punisher»-Runs einen spannenden Plot geschrieben und Goran Parlov ist eine wirklich zufrieden stellende grafische Umsetzung gelungen. Trotzdem lässt sich, was das Thema anbelangt – auch eine Prise Vietnam darf natürlich nicht fehlen –, ein Déjà-vu kaum verhindern: Denn die Totenglocke für das konventionelle 9/11-Erzählraster hat längst geläutet; so ziemlich alle möglichen Varianten sind inzwischen bis zum Abwinken durchgespielt worden. Es braucht ein neues Paradigma, einen neuen Drive, um der neuen Komplexität gerecht zu werden. Trotzdem – wie gesagt – ein grundsolides Werk.

Wer auf der Suche nach einer noch einen Tick deftigeren (und vor allem gewalttätigerer) Punisher-Story ist, dürfte mit der «Garth Ennis Collection», von der jetzt der dritte Band erschienen ist, mehr als gut bedient sein (Panini, zirka 44 Franken; Besprechung des ersten Bandes). Der Zeichnerwechsel in der Mitte des Bandes von Steve Dillon zu Tom Mandrake hat den Vorteil, dass nicht mehr alles an die Ennis/Dillon-Serie «Preacher» erinnert – und natürlich genau auch ebendiesen Nachteil. Mandrakes realistischer Stil unterstützt die dunkle Grundstimmung bestens, ist jedoch nur bedingt kompatibel zum phantastischen Plot des «Verborgen»-Zyklusses. Ein (erzähltechnisches) Highlight stellt die Folterung eines Gangsterbosses auf dem Zahnarztstuhl dar – gesehen durch seinen Mund. Daredevil-Anhänger dürfte ausserdem das Aufeinandertreffen mit Elektra freuen, bei dem die beiden Kampfsäue erkennen – oh Wunder! – dass sie Seelenverwandte sind. (scd)

Terminator: Infinity

Zwischen Selbstzweifeln und Explosionen

Nach jahrelangem Dahinvegetieren im Schutzbunker wagt sich John Connor in die atomar verseuchte Aussenwelt. Trotz der Prophezeiung, dass er den Rest der Menschheit im Kampf gegen die Maschinen anführen wird, lähmen ihn immer wieder Selbstzweifel. Und zu allem Überfluss jagt ihn ein neuer Terminator, der sogar zu spontanen Zeitsprüngen fähig ist.

 

Handlungsmässig ist «Terminator: Infinity» (Panini, zirka 27 Franken) zwischen Film Nummer drei und «Terminator: Salvation», der gerade im Kino zu sehen ist, angesiedelt. Die Entwicklungsgeschichte vom verzweifelten Jüngling zum Helden zeigt sich vom Graphischen her solid. Die düsteren Farben von Zeichner Nigel Raynor unterstreichen gekonnt die herrschende Endzeitstimmung. Die hektisch wirkende Panel-Gestaltung verschmilzt regelrecht mit den unzähligen Explosionen und weiteren Lichteffekten. Zum Glück, denn der vorliegende Band besteht eigentlich – analog zur jüngsten Filmfranchise – nur aus diesen. Die Geschichte von Autor Simon Furman scheint nur von aneinander gereihten Detonationen zu leben. Praktisch nichts erinnert mehr an das, was den früheren, spannenden Terminator-Plot ausgemacht hat. Das ganze Szenario ist beliebig mit herkömmlichen post-apokalyptischen Szenarios austauschbar. Somit kann man «Terminator: Infinity» streng genommen nicht einmal Terminator-Fans empfehlen. Der Comic eignet sich nur für Liebhaber actionreicher Endzeit-Materialschlachten, denen die Handlung zweitrangig ist. (ras)

Ex Machina 4 & 5

Der mit den Maschinen spricht

In welche der zahlreichenden fortlaufenden Serien soll man sein Geld stecken? Eine in letzter Konsequenz natürlich keineswegs abschliessbar beantwortbare Frage. Und dennoch dürfte feststehen, dass die Serie «Ex Machina» von Brian K. Vaughan (Autor unter anderem von «Wolverine: Logan»; siehe oben) und Tony Harris als sicherer Wert betrachtet werden kann. Die Bände 4 («Am Vorabend des Krieges») und und 5 («Schall und Rauch»; Panini, je zirka 30 Franken) liegen vor, der sechste Band «Blackout» ist auf Mitte Juli anberaumt.

 

Welchen Kurs soll ein Bürgermeister fahren, der nach einem nach wie vor ungeklärten Vorfall die Gabe besitzt, mit Maschinen zu sprechen – was nicht nur immer ein Segen ist – und eine Zeit lang als Superheld «The Great Machine» unterwegs war? Wie soll er in einer immer komplexer werdenden Welt richtig schalten und walten – mit politischen Mitteln und ganz im Sinne des Wohlergehens seiner Bürger? Genau um solche Fragen geht es in «Ex Machina», das eine intelligente Verflechtung von Superheldenstory und Politthriller darstellt. In «Am Vorabend des Krieges» muss sich Mitchel Hundred entscheiden, ob er eine Demo gegen den Irak-Krieg bewilligen will oder nicht. Als es dann noch zu einem Gasanschlag kommt, bei dem unter zahlreichen anderen Opfern seine engste Mitarbeiterin zu Schaden kommt, beginnt auf den Strassen New York eine Hexenjagd auf Muslime. In «Schall und Rauch» wiederum steht Mitchels Meinung zu Cannabis auf dem Prüfstand und aufgrund seiner liberalen Gesinnung und der Angewohnheit, auch vor den Medien kein Blatt vor den Mund zu nehmen, scheint ein Eklat vorprogrammiert. Doch eigentlich gibt es im «Schmelztiegl» viel dringendere Probleme: Etwa der – ausgerechnet – dunkelhäutige Serienkiller im Feuerwehranzug oder die Frau, die sich vor dem Bürgerhaus selbst entzündet. (scd)

 

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100 Bullets 5: Du sollst nicht töten

Der Richter ist der Henker

Privatdetektiv Milo Garret hat momentan nicht gut lachen: Nachdem ihn die Ärzte nach einem Autounfall zusammengeflickt haben, schleppt er sich – den ganzen Kopf in Bandagen – von Bar zu Bar, um bei willkommenen Keilereien seinem Frust etwas Luft zu machen. Bis zu dem Tag, an dem er Besuch von Agent Graves bekommt, der von Sabotage spricht und die Beweise gleich mitliefert. Der Deal, den er Garret anbietet, ist zu verlockend, um nicht angenommen zu werden. Doch die Mär geht nicht gut aus…

 

100 nicht zurückverfolgbare Kugeln – und eine offene Rechnung zu begleichen: Auf dieser bekannten Ausgangslage basiert «Du sollst nicht töten», der fünfte Band der Neuausgabe von «100 Bullets» (Panini, zirka 29 Franken) von Brian Azzarello und Eduardo Risso. Mit dem Mitte August erscheinenden zehnten Sammelband liegt dann die erste Dekade dieser Hardboiled-Crime-Noir-Serie endlich komplett vor und bis zum Finale am Ende des – sinnigerweise – hundertsten Hefts fehlen damit nur noch drei Bände. Was bereits an früherer Stelle schon gesagt worden ist, gilt auch hier: «100 Bullets» kann im Prinzip nur empfohlen werden: Mit seiner Technik des Erzählens setzt Azzarello neue Massstäbe – und mit Risso steht ihm ein genialer Zeichner zur Seite. Wiederholt stellt sich einfach die Frage, wie viele Male man bereit ist, sich auf die verschiedenen Spielarten des 100-Kugeln-Motivs einzulassen. Logisch gibt es ja da noch die Überhöhung durch den Trust/Minutemen-Strang, der an sich auch wirklich gut und durchdacht arrangiert ist – doch das ganze Szenario droht auf Dauer halt schon etwas auszuleiern. (scd)

Der Jude von New York

Von der Glückseligkeit der Geduldigen

Eins vorweg: Dem Werk «Der Jude von New York» (Avant, zirka 36 Franken) dürfte (wenigstens hierzulande) nur eine ganz spezifische Klientel zugetan sein. Ben Katchor verwebt darin zahlreiche Geschichten jüdischer alter und neuer Immigranten im Manhattan des 19. Jahrhunderts zu einer ganz speziellen Stadtgeschichte. Nicht, dass dieser Ansatz nicht spannend wäre oder kein Potenzial aufwiese – im Gegenteil, wie eine Querlektüre erahnen lässt* –, doch es wird der unbedarften Leserschaft wahrlich nicht einfach gemacht.

 

Diesbezüglich zu nennen wären etwa: Absenz eines sanften, führenden und in gewisser Weise auch klärenden Einstiegs, in dem wenigstens kurz angetippt würde, um was es eigentlich geht, durchs Band enorme Textlastigkeit und ein Artwork, dem zusammen mit den mimisch extrem hölzern geratenen Charakteren auch nicht allzu viel Freunde beschieden sein dürften. Schade eigentlich, denn laut dem Verlag handelt es sich um «eines der seltenen Meisterwerke der Neunten Kunst», wie das jetzt auch immer zu interpretieren ist... (scd)

 

* Und dafür, dass es nicht zu mehr gereicht hat, darf man mir gern ein Armutszeugnis ausstellen.

 

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Vortrag auf Video von Ben Katchor (english) »

Strapazin 95: Playlist

Ein recht kopflastiger Swing

Die aktuelle «Strapazin»-Ausgabe nähert sich mit verschiedenen Comicbeiträgen dem Thema Musik an. Künstler aus verschiedenen Ländern waren gebeten worden, einen Song zu illustrieren, also quasi einen Musikvideoclip auf Papier zu erschaffen. Ein interessanter Ansatz, der zu ganz unterschiedlichen Kreationen von Chamaz, Atak, Fabio Viscogliosi, Dominique Donoval, Vincent Fortemps, Rik van Iersel, Anna Sommer, Blutch, Chihoi und Diceindustries geführt hat.

 

Eines ist den Auswüchsen gemeinsam: Sie sind alle ausserordentlich experimentell und progressiv geraten. Dies mag zwar interessant und zweifellos intellektuell herausfordernd sein. Ob es jedoch – gerade in Anbetracht dessen, dass der Bezug zu den jeweils angegebenen Songs, sofern man überhaupt die Chance hat, diese zu kennen, fast immer extrem kryptisch bleibt – auch unterhaltend ist, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Abgerundet wird das Ganze von einem Essay über Daniel Johnston, einem Interview mit Blutch sowie verschiedensten Rezensionen. (scd)

 

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Tim & Struppi Farbfaksimile 6: Die schwarze Insel

Die Rückkehr zum schnörkellosen Krimi

Nach «Der Arumbaya-Fetisch» wollte Hergé mit «Die schwarze Insel» «die Ausgangsidee sehr einfach halten, zu viel Text möglichst vermeiden und auf das Tempo der Erzählung achten», wie er 1937 in seinem Notizbuch festhielt. Das Konzept für eine Falschmünzer-Story, in der auch ein Gorilla vorkommt – King Kong war wegen des Kinofilms gerade en vogue – war geboren.

 

Die nun als Farbfaksimilie vorliegende zweite Fassung von 1943 (Carlsen, zirka 33 Franken) wartet nur mit wenigen Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Schwarz-weiss-Album auf. Umso grösser sind die Unterschiede zur heutigen dritten Version von 1965, was das Dekor anbelangt. Um die Geschichte upzudaten, hatte Hergé seinen Mitarbeiter Bob de Moor extra für Recherchen nach England geschickt. Das Album wurde darauf hin – Detail für Detail – vollumfänglich neu gestaltet, wohlgemerkt ohne dass sich inhaltlich etwas geändert hatte. Wer eine oder beide der zwei anderen Fassungen besitzt, eröffnen sich so interessante Quervergleiche. Letztlich ist es wohl Geschmacksache, welche der Farbversionen man präferiert. (scd)

 

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75 Jahre Donald Duck Superstar

... und kein bisschen leise!

Am 9. Juli 1934 hat der streitbare Erpel im kurzen Zeichentrickfilm «The Wise Little Hen» das Licht der Welt erblickt – und Donald Ducks Siegeszug ist seitdem kaum mehr aufzuhalten. Der sympatische Looser wird also 75; und das wird vom Verlag natürlich tüchtig abgefeiert – unter anderem in Form des Sonderbandes «75 Jahre Donald Duck Superstar» (Ehapa, zirka 29 Franken).

 

Bei allen möglichen Einwänden und «Ausverkauf!»-Unkenrufen hat durchaus auch seine Legitimation. Wie bei den früheren Jubiläumsbänden «60 Jahre Onkel Dagobert» und «80 Jahre Micky Maus» stellt sich halt einfach immer die Frage, wie essenziell solche Kompilationen, von denen es ja mittlerweile auch schon zahlreiche geben dürfte, denn tatsächlich sind. Letztlich muss das wohl jeder für sich entscheiden. Auf jeden Fall kann gesagt werden, dass der Band eine gelungene Zusammenstellung von Geschichten zentraler Autoren aus sieben Jahrzehnten – unter anderem Carl Barks, Don Rosa, Marc Rota und William van Horn – darstellt und auch das von der Länge her konsumerable und verständlich geschriebene Vorwort von Andreas C. Knigge zu überzeugen weiss. (scd)

Die Minimädchen 1: Das heilige Dings

Bumsfidele Robinsonade

Was wäre, wenn ein Schiffbrüchiger auf einem unentdeckten Eiland strandet, das von unschuldigen, da bislang gänzlich unberührten, nymphomanen, natürlich vollbusigen und nicht zuletzt (leck)willigen Liliput-Amazonen bevölkert wird? Mit dieser Frage hat sich der französische Comic-Künstler Pierre Seron («Die Minimenschen»; seit 1974) sehr eingehend auseinander gesetzt. Mit «Das heilige Ding» ist der Debütband aus dem Jahr 1999 seiner hierzulande insgesamt fünf Bände umfassenden Serie «Die Minimädchen» nun wieder auf Deutsch verfügbar (BSE, zirka 22 Franken). Sex und Funny: Geht das zusammen? Zumindest in der franko-belgischen Tradition scheinbar ja, wie die zahlreichen Erzeugnisse im Stile von «Die kleinen grünen Männchen» von Pat Mallet oder Danys Oeuvre (mit bezeichnenden Titeln wie etwa «Oh la la», «Schäm dich!» oder «Interesse?») eindrucksvoll unter Beweis stellen. Bliebe ohne puritanisch wirken zu wollen die ernstgemeinte Frage, welche Klientel mit welchem Erkenntnisgewinn mit dieser Art der Lektüre, die teilweise erstaunlich explizit daherkomt, denn bedient wird. «Die Minimädchen» kommt aufgrund des humoristischen Ansatzes wenigstens ohne die sonst so häufig gesehene Verknüpfung von Sex und Gewalt aus.

 

Für den Kulturwissenschaftler mag sich der Comic als willkommener Korpus anbieten zur Untersuchung stereotyper Darstellung der Geschlechterverhältnisse, Sexualität und Liebe oder diesen zu einer Abhandlung über den Exotismus anregen. Aufschlussreich ist auch eine Analyse der Grössenverhältnisse zwischen dem Gestrandeten und seinen Minigespielinnen. Diese scheint auf die Logik der Figur des Scheinriesen in Michael Endes «Jim Knopf» zu rekurrieren: Je näher dran, umso grösser, damit auch ja alles (rein)passt. Kurzum: Eine so belang- wie harmlose Sauerei, die man getrost aussen vor lassen kann. (scd)

Star Wars Classics / Star Trek: Countdown

Von Fixsternen und schwarzen Löchern

«Star Wars» und «Star Trek»: Für die einen sind die beiden Weltraum-Sagas Kult, für die anderen ein rotes Tuch und Zeichen von Infantili- oder fortgeschrittener Debilität. Puristen anerkennen nur die Urzyklen, offenere Geister sind da toleranter – oder halt einfach auch erst später eingestiegen. Wiederum andere verleiben sich querbeet über die medialen Grenzen alles ein, was sie dazu in die Hände kriegen, einfach des Prinzips wegen. «Star Wars Classics» von Archie Goodwin, Carmine Infantino und Terry Austins (Panini, zirka 33 Franken, bislang zwei Bände erschienen), das die ersten nach dem Film 1977 erschienen Comicadaptionen vereint, dürfte wohl alle Geschmäcker gleichermassen zu befriedigen wissen. Wohnt der Kompilation doch an und für sich irgendwie einfach etwas Grosses, Wertvolles, ja beinahe Heiliges inne – mit ihrer so herrlich analog anmutenden Vierfarbengrafik eine Art Epiphanie im Zeichen der Kulturindustrie, eine Simulation von Originalität im Zeitalter der Reproduzierbarkeit des Kunstwerks evozierend, um Horkheimers und Benjamins Vokabular zu gebrauchen.

Ob man indessen noch in 30 Jahren von «Star Trek: Countdown» von Tim Jones, Mike Johnson und David Messina (Cross Cult, zirka 27 Franken), das explizit auf die aktuelle Verfilmung ausgerichtet ist – respektive dessen Vorgeschichte erzählt, ein nur allzu bekanntes Muster und bereits beim Querlesen durch das konventionelle Artwork negativ auffällt –, sprechen wird, steht in den Sternen geschrieben. Nun denn: Möge die Macht mit dir sein, Scotty. Amen. (scd)

 

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