Logicomix

Krieg, Wahnsinn, Verzweiflung… und Wahrheit

«Logicomix» (Atrium, zirka 40 Franken) ist eine Ausnahmeerscheinung: Der Einzelband schafft es, eine Handlung, die auf den ersten Blick überhaupt nicht für einen spannenden Plot geeignet scheint, in eine mitreissende Geschichte zu verwandeln. Die eher abstrakte Arbeit eines Mathematikers wird mit einer bewegten Biografie ergänzt, in der verheerende Kriege, selbstzerstörerische Leidenschaft und der Kampf zwischen Genie und Wahnsinn eine grosse Rolle zukommt. Letzterer ist das Hauptthema bei «Logicomix» – und dies ist auch der Grund, weshalb auch diejenigen Leser, bei denen das Wort Mathematik Langeweile oder noch schlimmer traumatische Kindheitserinnerungen hervorruft, dem Comic trotzdem ihre Aufmerksamkeit schenken sollten.

 

Stellvertretend für die menschliche Suche nach Wahrheit zeigt der Comic Stationen der Biografie des britischen Logikers Bertrand Russell (1872–1970). Dieser widmete sich mit aller Energie der Suche nach wirklich gesichertem und nicht nur auf Annahmen beruhenden Wissen. Dabei ging er so weit, ganze Bücher über den Beweis der einfachen Rechnung 1+1=2 zu schreiben. Die Leidenschaft der Suche sowie seine tragische Familiengeschichte und Russells zahlreiche Ehen werden dabei interessanterweise auf drei Ebenen erzählt. Den eigenen Lebenslauf erzählt der ältere Russell während eines Vortrags zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Und auf einer Meta-Ebene diskutieren die Macher des Comics selbst darüber, wie sie die komplexen mathematischen Sachverhalte adäquat darstellen könnten und beziehen die Probleme der Logik auf ihren Alltag. Ebenfalls ansprechend zeigt sich die Grafik. Die Geschichte ist mit klarem Strich schnörkellos gezeichnet und besticht mit einer beeindruckenden Bandbreite an Kolorierungsstilen, die von aufdringlich grell bis verblichen fahl reicht. Ähnliches zeigt sich bei den Panels, die relativ abwechslungsreich sind, sich überwiegend jedoch an das durchgehend kleinformatige Schema halten.

 

«Logicomix» ist unbestritten eine der spannendsten Entdeckungen des Comicjahrs 2010. Und diese Anerkennung gilt dem Band nicht nur aufgrund der ungewöhnlichen Erzählstruktur, sondern insbesondere auch wegen des geglückten Versuchs, ein vermeintlich trockenes Thema ohne allzu viel dazuzudichten gekonnt zu dramatisieren. (ras)

 

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House of Mystery 1: Zimmer ohne Ausweg

Geschichtenerzähler im Exil

Ein zwischen den verschiedenen Realitäten gelegenes Haus, in dem die Zeit nicht vergeht. Dessen Bewohner, die nicht freiwillig hier sind, haben allesamt ein Faible fürs Erzählen. Diese Begabung brauchen sie auch – schliesslich sind Geschichten die einzig geltende Währung in der alten Villa, von der es kein Entkommen zu geben scheint. Als mit Fig eine neue Gestrandete in der Bar, die den Kern- und Angelpunkt der unendlich verwinkelten Gemäuer darstellt, auftracht, bringt das ziemliche Unordnung ins bisherige soziale Gefüge. Denn die so willensstarke wie attraktive junge Frau möchte sich auf keinen Fall mit ihrem Schicksal abfinden.

 

Manchmal wünscht man sich, gewisse Dinge würden nie enden. Was Comics anbelangt, war das bei mir beim Alan-Moore-Run von «Swamp Thing» der Fall – ober aber auch beim nun als Re-Issue wieder komplett auf Deutsch greifbaren «Sandman» von Neil Gaiman. Wenigstens diesbezüglich scheint jetzt in gewisser Weise von findigen Köpfen Abhilfe geschaffen worden zu sein – in Form der neuen Serie «House of Mystery» von Matthew Sturges/Bill Willingham («Fables») und Luca Rossi, von der jetzt der erste Band «Zimmer ohne Ausweg» (Panini, zirka 29 Franken) vorliegt. Nicht nur, was die Ansiedlung zwischen Realität und Fantasie und das Konzept mit durch Gastzeichner in verschiedensten Zeichenstilen realisierten Einschüben anbelangt, fühlt man sich an Gaimans epochales Werke erinnert. Bereits der Einstieg mit Kain und Abel verdeutlicht, auf wessen Schultern eines Riesen dieser verheissungsvolle Zwerg sitzt (wobei diesbezüglich natürlich die Tatsache nicht in Vergessenheit geraten darf, dass alles bereits Ende der 1960er-Jahre seinen Lauf in DCs «Mystery»-Reihe genommen hat). Wo die Ursprünge auch immer liegen mögen: «Zimmer ohne Ausweg» dürfte auch hierzulande mit offenen Armen empfangen werden und markiert den Beginn einer längeren Freundschaft – in den USA ist mittlerweile bereits der vierte Sammelband dieser fortlaufenden Serie erschienen. (scd)

 

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Unvergessene Zeiten

Weisst du noch, damals in den 80ern?

Im Grunde wollte Robert Andrew Nicks ja «nur» mit dem Rauchen aufhören. Doch die Hypnose, der sich der 40-Jährige zu diesem Zweck unterzieht, zeigt (wenigstens scheinbar) ganz andere Auswirkungen: Flugs findet sich Nicks in seiner alten High School wieder – als Teenager. Nach einigen pubertären Irrungen und Wirrungen – gesehen aus der Warte eines gestandenen Erwachsenen aus dem Jahr 2010 – scheint seine Mission klar: Vehement Nein zum ersten Glimmstängel zu sagen, die dem bebrillten Jungen mit Zahnspange an einer Party angeboten wird.

 

Was leicht ein müder «Zurück in die Zukunft»-meets-«Bodyswitch»-Abklatsch hätte werden können, wird unter der Federführung von Alex Robinson zu einem Juwel des Autorencomics veredelt. Schwarzweiss in halbrealistischen Stil – mit Hang zum Cartoonistischen – ausgeführt, umschifft «Unvergessene Zeiten» (Edition 52, zirka 22 Franken) erfolgreich sämtliche Klischee- und 1980er-Klippen und läuft gerade gegen Schluss zur Höchstform auf. Die ehrliche und dadurch höchst sympathische Tonalität und das nur oberflächlich betrachtet unspektakuläre Szenario erinnern an Werke wie «Blanchets», «Pauls Ferienjob», «Fuck» oder «Die drei Paradoxien». Brillant! Da freut die Ankündigung umso mehr, dass sich mit «Box Office Poison» bereits eine weitere Graphic Novel desselben Autors in Vorbereitung befindet. (scd)

 

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Batman: Ein Tod in der Familie

Wenn das Undenkbare geschieht

DC spielte schon früh mit dem Tod von Robin, dem Wunderknaben. Knapp fünfzig Jahre nach seinen ersten Auftritt von Batmans erstem Sidekick Dick Grayson wurde 1988/89 das vollendet, was man bisher nur anzudeuten wagte. Den Mord an Jason Todd, dem zweiten und weniger beliebten Robin, wollte man aber nicht alleine verantworten – und so kam es zum einem Ereignis, das in die Comicgeschichte eingehen sollte. In einem Telefonvoting konnten die Fans darüber abstimmen, ob der hitzköpfige Verbrecherjäger eine durch den Joker platzierte Zeitbombe überleben soll. Das Ergebnis der Abstimmung wird im Titel bereits vorweggenommen.

 

Die von Jim Starling und Jim Aparo entworfene Miniserie «Batman: Ein Tod in der Familie» erscheint auf 148 Seiten komplett in einer auf Hochglanzpapier gedruckten Neuauflage bei Panini Comics (zirka 23 Franken). Enthalten sind zudem die alternativen Panels, falls sich die Anrufer für Jason ausgesprochen hätten. Auch wenn Batmans draufgängerischer Partner mittlerweile als Red Hood wiederauferstanden ist, stellt sein Tod für die menschliche Fledermaus ein traumatisches Erlebnis dar, das sowohl seine Einstellung zu den kommenden Mitstreitern für immer verändert als auch in der Fehde mit dem Joker neue Massstäbe gesetzt hat. Ein empfehlenswerter Klassiker mit breiter Wirkung, der weiterhin zahlreiche Autoren inspirieren dürfte. (sam)

 

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Fables 12: Krieg und andere Kleinigkeiten

Tag der Abrechnung im Tal der Puppen

Sechseinhalb Jahre, 12 Sammelbände: Mit «Krieg und andere Kleinigkeiten» (Panini, zirka 29 Franken) wird ein grosses Kapitel des von Bill Willingham und Mark Buckingham erschaffenen «Fables»-Universums zu Ende gebracht. Die Action dominiert, was ungewöhnlich in Anbetracht der bisherigen Bände der Fantasy-Serie ist, den Plot ganz klar. Das geht vollkommen in Ordnung so – schliesslich ist endlich die Zeit für die alles entscheidende Schlacht zwischen den freien Märchenfiguren, die in der Welt der Menschen leben (sprich: den «Guten») und dem Imperium, das ihre ursprüngliche Heimat besetzt hält, gekommen.

 

Bei den etwa die Hälfte des Bandes ausmachenden Gefechtsszenen hat Buckingham einen Vorzeigejob geleistet – anders als schlicht superb kann man die Folgen extrem hochformatiger Panels in punkto Grafik und Komposition kaum bezeichnen. Willingham kündigt im Nachwort an, dass das Epos weitergehen wird. Wohin auch immer, es wird genügend «Fables»-begeisterte Jünger geben, die ihm (zur Recht) überall hin folgen werden. (scd)

 

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Splitter

Weiterhin neu in den Comic-Regalen

Daniel Kilgore trägt zwar eine weisse Binde – doch sonst nimmt ers mit dem Zölibat nicht allzu genau. Als ihm sein toter Bruder, ein ehemaliger Geheimagent mit Prinzipien, erscheint, wird das Leben des Kirchenmannes gehörig umgekrempelt – im wahrsten Sinne des Wortes: Auf mysteriöse Weise verschmilzt der Geisterleib mit Kilgores Körper zu einem so mächtigen wie kampfgewandten Wesen. Tedd McFarlane und Robert Kirkmann haben mit «Haunt» (Panini, zirka 24 Franken) einen neuen Stern am Horror/Superhelden-Himmel erschaffen. In Szene gesetzt von Ryan Ottley, präsentieren die beiden ein innovatives Konzept, das leider einen kleinen Schönheitsfehler aufweist: Mit dem Plot des ziemlich blutigen Openers ist es leider nicht gerade weit her. Jedenfalls wird eine interessante Ausgangslage für weitere Episoden geboten. (scd)

 

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«Unglück mit allerlei Toten» (Edition Moderne, zirka 38 Franken) von Katz und Goldt: Was lässt sich dazu sagen? Vom Artwork her bewusst laienhaft gehalten, der Sprechblasentext in Schnürchenschrift, der Plot irgendwo zwischen dümmlich, saudumm und grotesk. Auch wenn sich bei den mittlerweile zehn vorliegenden Bänden der beiden Liebhaber merkwürdigen Humors im Vergleich kein wirklicher Progress erkennen lässt: Ein nicht abzustreitender Reiz geht von den blitzgescheiten Nonsens-Miniaturen immer wieder aufs Neue aus. Wers politisch unkorrekt mag, kann jedenfalls bedenkenlos zugreifen. (scd)

 

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Cowboys, Indianer und mysthische Verfluchungen: Geht das zusammen? Warum eigentlich nicht, mag man sich denken. Leider geht das Konzept im One-Shot «Badlands» (Ehapa, zirka 26 Franken) von Axel Gonzalbo und Jean-Claude Cassini. in dem ein junger Städter im Wilden Westen auf den Spuren seines toten Vaters wandelt und bald in höchste Gefahr gerät, überhaupt nicht auf. Grafisch ganz gut umgesetzt, weist der Plot zahreiche Lücken auf. Weder wird logisch und glaubhaft aufgeschlüsselt, was es mit dem Fluch auf sich hat, noch vermag die Abfolge von Actionszenen Spannung zu erzeugen. Der höchst ambivalente Eindruck wird durch das abrupte Ende, das den Leser enttäuscht und mit vielen offenen Fragen zurücklässt, fatalerweise zusätzlich verstärkt. (scd)

Nein, mit Schönheitswahlen hat «Missi Dominici» (Ehapa, zirka 26 Franken) definitiv nichts zu tun. Vielmehr geht es im ersten Band dieser neuen Serie von Benoit Dellac und Thierry Gloris um zwei Reisende im Namen Roms («Königsboten»). Die Gottesmänner suchen nach Reliquien in allen Winkeln der Welt. In der Umgebung von Riga hofft das ungleiche Paar auf das mysteriöse Kind des Tierkreises zu stossen – doch die vier apokalyptischen Reiter verfolgen mit brachialen Methoden dasselbe Ziel. Wer auf Kreuzungen von Mittelalter und Fantastik steht, dürfte mit «Miss Dominici» auf seine Kosten kommen. Leider bleibt recht unklar, wohin die Reise gehen wird. (scd)

 

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