Rückblick

Das sind die Bildergeschichten 2011

Am Jahresende sollte man kurz innehalten und Bilanz ziehen. Dazu gehört ein prüfender Blick auf Beruf, Privatleben und natürlich den Comic-Markt 2011. Hier unsere subjektive Auswahl der besten Neuerscheinungen und Wiederauflagen des Jahres 2011.

Dieses Jahr sind zwei neue Serien auf Deutsch erschienen, die bereits auf dem amerikanischen Markt für Furore sorgten. Darunter ist «Chew» (Cross Cult, zirka 17 Euro/24 Franken je Band), die Geschichte des Polizisten Tony Chu. Er löst seine Fälle mit seiner seltenen Gabe der Geschmackstelepathie. Eine Kostprobe vom Tatort und schon weiss er was vorgefallen ist. Für eher Fluch als Segen, denn wer will schon seine Geschmacksknospen in der Nähe von Gewaltverbrechen haben? Die Serie räumte in Amerika Eisner- und Harvey-Awards ab und auch eine Fernsehserie ist bereits in Planung.

 

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Als eine weitere viel versprechende Reihe präsentiert sich «The Unwritten» (Panini, zirka 17 Euro/23 Franken je Band). Tom Taylor muss nach dem Tod seines Vaters, eines berühmten Fantasy-Autors, seine Signierstunden übernehmen. Kein leichtes Unterfangen: Denn in den Geschichten seines Vaters gilt Tom als Held mit magischen Kräften und die Fans sehen keinen Unterschied zwischen dem Mensch und der Figur. Ausserdem übernimmt ein Geisteskranker, die Rolle des literarischen Bösewichts und trachtet Tom nach dem Leben. So beginnt die Fiktion allmählich in die Realität einzufallen. Eine kreative Ausgangslage, bei der man gespannt auf die weiteren Entwicklungen warten kann.

 

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Wüstenromanze und Nahost-Konflikt

Einen sehr lesenswerten Einzelband legte der Stargast des diesjährigen Luzerner Comic-Festivals Fumetto, Daniel Clowes, vor. In «Wilson» (Eichborn, zirka 20 Euro/30 Franken) wird die Geschichte des gleichnamigen Zynikern, der unzufrieden durch seine Heimatstadt schlurft und seine Mitmenschen gerne vollnörgelt. Eines Tages beschliesst er seine Ex-Frau, die im Drogenmilieu abgestürzt ist, und seine zur Adoption frei gegebene Tochter zu suchen. Was natürlich nur schief gehen kann. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge erlebt der Leser Wilsons Niedergang mit.

Ernster geht es im meist erwarteten Comic 2011 zu und her. Das fast 700 Seiten starke Orient-Epos «Habibi» des Amerikaners Craig Thompson (Reprodukt, zirka 39 Euro/50 Franken) erzählt die ungewöhnliche Liebesgeschichte der beiden Sklaven Zam und Dodola, welche von zahlreichen Schicksalsschlägen geprägt ist.

 

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Ebenfalls im Nahen Osten angesiedelt ist die nun auf Deutsch erschienene Comic-Reportage «Gaza» (Edition Moderne, zirka 34 Euro/45 Franken) des zeichnenden Reporters Joe Sacco. Er hat sich 2002 und 2003 in den Gaza-Streifen begeben um zwei weitgehend unbekannte Massaker an der Palästinensichen Bevölkerung in Yunis und Rafah im Jahre 1956 zu recherchieren. Dabei porträtiert er auch die aktuelle Situation im Nahost-Konflikt auf akkurate Weise.

 

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Ein anderes politisches Thema hat Comic-Legende Art Spiegelman («Maus») aufgegriffen. Mit «Im Schatten keiner Türme» (Atrium, zirka 35 Euro/50 Franken) sind zum zehnten Gedenktag der Anschläge vom 11. September die gezeichnete Verarbeitung der Vorfälle durch den Autor erschienen.

 

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Mit einem anderen, eher unbekannten, historischen Ereignis befasst sich der Franzose David B. in «Auf dunklen Wegen» (Avant, zirka 25 Euro/40 Franken). Nach dem Ersten Weltkrieg besetzt eine Truppe Deserteure die damals noch italienische Hafenstadt Fiume und trotzen als politische Aussenseiter den Weltmächten.

 

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Eine ungewöhnliche Biografie in Comic-Form ist 2011 mit «Nietzsche» (Knaus, zirka 20 Euro/ 31 Franken) erschienen. Dabei wird versucht sich dem Leben des Ausnahme-Philosophen in stimmungsvollen Bildern statt mit viel Text zu nähern.

 

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Weltraum-Klassiker und Abgründe

Eine Wiederauflage hat dieses Jahr der Comic-Klassiker «John Difool» (Splitter, zirka 16 Euro/20 Franken je Band) erlebt. In der abgedrehten Weltraum-Saga wird der gleichnamige, eher zweitklassige Privatdetektiv vor die Aufgabe gestellt die Welt zu retten. Zudem wird der ursprünglichen Geschichte eine Fortsetzung dazugestellt.

 

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Auf dem Manga-Markt sind vor allem zwei Neuerscheinungen aufgefallen. Vom Alt-Meister Jiro Taniguchi ist die zweibändige Liebesgeschichte «Der Himmel ist blau, die Erde ist weiss» (Carlsen, zirka 15 Euro/22 Franken je Band) erschienen. In den atmosphärischen Bildern Taniguchis verliebt sich Tsukiko in ihren 30 Jahre älteren ehemaligen Lehrer.

Unromantischer gehts in «Existenzen und andere Abgründe» (Carlsen, zirka 20 Euro/28 Franken) zu. Yoshihiro Tatsumi porträtriert darin kaputte Charaktere in düsteren Kurzgeschichten.

Sasa Rasic, im Dezember 2011

(zuerst erschienen in der «Neue Luzerner Zeitung»)