Edgar Allan Poe – Welt des Schreckens

Der Meister des subtilen Horrors ist zurück

Edgar Allan Poe feiert Wiederauferstehung im Medium Comic. Das Werk macht in den Händen von Rich Margopoulos und Richard Corben eine eigentümliche Metamorphose durch.

Eine bitterkalte Winternacht. Ein Haus irgendwo im Nirgendwo. Ein Mann am Schreibtisch, in Gedanken bei seiner Leonore. Ein Klopfen. Der Jüngling schreckt auf, deutet es als Zeichen der Geliebten aus dem Totenreich. Öffnet das Fenster, schreit verzweifelt ihren Namen in Nacht hinaus. Da ist etwas Schwarzes, Flatterndes, das hineindrängt. Ein Rabe. «Nimmermehr!», krächzt das Tier unheilvoll und lässt sich auf einer oberhalb eines Türrahmens angebrachten Frauenbüste nieder. «Nimmermehr!»

 

Gutes Händchen bei der Wahl des Zeichners

Soweit die Ausgangslage des neunseitigen Comics «Der Rabe» aus dem Band «Edgar Allan Poe – Welt des Schreckens», der zum zweihundertsten Geburtstag (und gleichzeitig 150. Todesjahr) des amerikanischen Schriftstellers herausgekommen ist (Panini, zirka 36 Franken). Dabei ist es durchaus stimmig, dass die Grafik der insgesamt zehn Adaptionen von Kurzgeschichten und Gedichten von Poe vom mittlerweile bald 70-jährigen Richard Corben besorgt wurde. Wie bei Poe hat der Horror und das Fantastische im Werk des amerikanischen Comic-Künstlers, der sich vor allem durch seine Arbeiten in den 70er-Jahren für «Métal hurlant» einen Namen gemacht hat (und mit der Gestaltung des Covers des Millionensellers «Bat out of Hell» von Meat Loaf beinahe unbemerkt ins kulturelle Unterbewusstsein gerückt ist), einen festen Platz. Und wie so oft bei Corben sind seine plastischen, in Grautönen realisierten Zeichnungen, für die er so bekannt ist, leider von sehr unterschiedlicher Qualität: Während manches staunen lässt, scheint bei anderen Stellen jemand am Werk gewesen zu sein, der nicht einmal die augenfälligsten anatomischen Relationen zu kennen scheint.

Historische Ungleichzeitigkeit irritiert

Trotzdem hat Corben, der wegen seiner vollbusigen Charaktere nur zu oft den Vorwurf des Sexismus über sich hat ergehen lassen müssen, zusammen mit den Textern Rich Margopoulos und Richard Dahl bemerkenswerte Arbeit geleistet. Diese paraphrasieren Poes Material kunstvoll oder greifen für die Comic-Umsetzungen komplett auf dessen Text im Wortlaut zurück. Der bislang kaum aufgefallene Margopoulos lässt das historische Material dabei in komplett neuem Licht erscheinen, indem er etwa aus «Israfel» eine (etwas gar 08/15-)Gangstamär schneidert («Cage» von Corben blitzt in der Realisation auf, und bei «Der Sieger Wurm» der übermächtige «Den»-Kosmos). Dabei kommt ihm die Offenheit und Anschlussfähigkeit der Vorlagen zugute, die sich im Original nach jeder Comic-Episode finden lassen. Die Mixtur als alt und neu führt mancherorts allerdings zu einem aus der ambivalent aufgenommenen Shakespeare-Verfilmung «Romeo + Juliet» von Baz Luhrmann aus dem Jahr 1996 (mit Leonardo DiCaprio) nur zu bekannten, eigenwilligen Effekt der historischen Ungleichzeitigkeit von Text und Bild.

 

Steiniger Weg vom Comic zum Buch

Aufgrund des kreativen Einbindung und Umgestaltung wird an diesem Beispiel auf jeden Fall der vielgehörte Vorwurf, der Postmoderne sei nichts anderes als die blosse Montage aus Zitaten von bereits Bekanntem geblieben, hinfällig. Denn Magropoulus’/Dahls und Corbens Interpretationen wohnt unzweifelhaft eine neue, eigene Qualität und Originalität inne. Ob der Band jedoch dazu verführt, sich Poes Werk anzunähern, darf in Frage gestellt werden: Bei aller unleugbaren Eloquenz und Genialität sind gerade die Gedichte mit ihrem Schwulst halt irgendwie doch zu antiquiert und eine auf wirkliches Verstehen ausgerichtete Lektüre zu aufwändig, um dem (jugendlichen) Durchschnittsverbraucher zu gefallen. Eine hübsche Reminiszenz an die Figur der Hexe aus der in der Comic-Kodex-Äre als jugendgefährdend verfemten «Geschichten aus der Gruft»-Serie aus den 1950ern stellt übrigens das jeweils nach einigen Episoden erscheinende Knochengerüst (mit Schnäuzer!) dar, welches den Leser mit morbiden Sprüchen durch den Band führt.

 

Dave Schläpfer, im Februar 2009

 

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