Der Fluch des Regenschirms

Da hab ich mir doch gedacht...

Wie spricht man andauernd über sich selbst, ohne anderen als egomaner Schwätzer zu erscheinen? Lewis Trondheim gibt Anschauungsunterricht.

Am Beispiel von Lewis Trondheim lassen sich sehr schön die Wirkungsmechanismen der Selbstbespiegelung betrachten. In regelmässigen Abständen setzt er seine Leser in Form eines öffentlichen Comic-Tagebuchs darüber in Kenntnis, was bei ihm im Besonderen und in der französischen Comic-Szene im Allgemeinen so los ist. Nachdem bei Reprodukt bereits «Approximate Continuum Comics» und «Ausser Dienst» erschienen sind, setzt Trondheim mit «Der Fluch des Regenschirms» gleich zu einer ganzen Reihe voller «Nichtigkeiten» an.

 

Bereits in der «Herr Hase»-Reihe sinnierten die Figuren so lange über die Dinge des Lebens, bis sie sich als nichtig entpuppten und die ganze Spannung der Dramaturgie zum Einstürzen brachten. Insofern war es nur konsequent, die erzählerische Maske und damit gleich die Reihe fallenzulassen, um sich der eigenen Lebensbewältigungspraxis zu widmen. Im Nachwort zu «Approximate Continuum Comics» verraten Killoffer und David B., wie bar die Münze dieses «Geständnisses» ist: David B. mokiert sich augenzwinkernd über die «mangelhafte Dokumentation» der Szene, während Killoffer gewohnt humorlos den Entblössungsapostel gibt und Trondheim vorwirft, sich hinter einer Maske zu verstecken. Wer jemals in sein eigenes Tagebuch geschaut hat, wird es zu schätzen wissen, dass Lewis Trondheim sich bei der Dokumention von der Improvisation leiten lässt und jede sich bietende Pointe willkommen heißt.

Das war nicht immer so. 2004 beschloss er, eine Pause vom Zeichnen einzulegen. Offenbar aus dem Übermass seiner Musse heraus ging er ernsthaft bemüht der Frage nach, warum Comiczeichner so schlecht altern. Natürlich machte er daraus direkt einen Comic. Wie sinnvoll seine Frage ist, bringt Charles Berberian (einer der Zeichner und Autoren von «Monsieur Jean») in «Ausser Dienst» auf den Punkt: Trondheim könne doch genauso fragen, warum Bäcker und Metzger so schlecht altern, daraus würde dann gleich die Reihe «Schlechter Altern» werden. So reizvoll es ist, sich «Schlechter Altern mit Lewis Trondheim» quasi als Gegenentwurf zu Walter Moers' «Schöner Leben mit dem kleinen Arschloch» vorzustellen: Für das Erscheinen von «Ausser Dienst» gibt es eigentlich keine andere Erklärung als Trondheims Furcht vor einer Produktivitätslücke in seinem Lebenslauf.

 

Vielleicht bewog der Rückblick auf diesen Band ihn dazu, im «Fluch des Regenschirms» (Reprodukt, zirka 16 Euro/25 Franken) ehrlich darüber zu staunen, was für Gedanken einem so durch den Kopf schwirren und dass man sie auch noch ernst nimmt. Trondheim zeichnet sich selbst in seinen autobiografischen Comic-«Mockumentaries» als Habicht, was auf Französisch «autour» heisst, was auch «herum» bedeutet. Im Grunde bleibt der Comiczeichner Trondheim doch immer ein verkappter Philosoph, der um Situationen herumkreist, um zuzuschnappen, wenn sich eine Gesetzmässigkeit darbietet. So grübelt er eines Tages darüber, was es wohl damit auf sich hätte, dass ihm heute schon vier Mal jemand mit einem eingegipsten Arm begegnet ist. Eine neue Extremsportart? Ein Verhängnis, das auf ihn wartet? Erst zum Schluss kommt er darauf, dass es immer derselbe Mann gewesen sein könnte. Verblüfft stellt er immer aufs Neue fest, wie paranoid oder unsinnig seine Versuche sind, sich Situationen zu erklären und Allgemeingültiges daraus herauszuziehen. Immerhin führen ihn die Gedanken auf die Fährte von solch schönen und wahren Aphorismen wie: «Je weiter man sich von der Party entfernt, desto kleiner werden die Kotzlachen.»

 

Es mag an der Gestaltung liegen, dass Lewis Trondheim in dem neuen Band der Gefahr entgeht, in die Fänge der Selbstbezogenheit zu geraten: Er gibt sich jeweils immer genau eine Seite Zeit, damit eine Pointe sitzt. Da darf er sich nicht allzu sehr mit sich selbst aufhalten. Natürlich macht er sich einen Sport daraus, durch die Kontinuität der Motive und Gedankenmuster immer wieder zu sich als Person (oder vielmehr als Figur) zurückzukehren. Wie in einem Gespräch versucht er ein «Und da ist mir doch letztens aufgefallen...» einzustreuen, ohne seine Zuhörer merken zu lassen, dass er schon die ganze Zeit über nur über sich selbst spricht. Es ist eine reine Freude, ihm bei dieser Anstrengung zuzusehen.

 

Waldemar Kesler, im Februar 2011

 

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