Gaiman: Sandman
Traumwelt und Bilderrausch wie aus dem alten Japan
Eine Liebe zwischen Fuchs und Mönch. Illustrierte Erzählung, Märchen für Erwachsene, buddhistisches Lehrstück.
Eine unmögliche Liebe, selbstlose Opferbereitschaft und eiskalte Rache: Von diesen Grundmustern menschlicher Leidenschaft lebt der Band «Sandman: Traumjäger» von Star-Comicautor Neil Gaiman
(«Niemalsland») und dem japanischen Illustrator Yoshitaka Amano («Final Fantasy») (Panini, zirka 30 Franken). Die Geschichte um die tragische Romanze zwischen einem Fuchsgeist und einem Mönch ist im
alten Japan angesiedelt. Bei dem Versuch den Mönch aus seinem kleinen, verlassenen Tempel zu vertreiben, verliebt sich die Füchsin unsterblich in den Geistlichen. Als sie erfährt, dass ein mächtiger
Magier dem Mönch nach dem Leben trachtet und ihn durch seine Träume umbringen will, sucht sie Hilfe beim Traumgott persönlich. Doch nur indem sie sich selbst opfert, kann sie das Unglück abwenden.
Der Mönch erfährt von ihrer Tat und begibt sich ins Reich der Träume um seine Füchsin zu retten.
Acht Jahre nach der Veröffentlichung der englischen Originalausgabe wird der mit dem Bram Stocker Award ausgezeichnete, 126-seitige Band nun endlich auch auf Deutsch veröffentlicht. «Traumjäger»
läuft zwar unter dem Label «Sandman», doch die Geschichte kann auch für sich alleine, ohne Vorkenntnisse der Erfolgsserie, die zurzeit in Sammelbänden neu erscheint, gelesen werden. Erfahrene Leser
erwarten lediglich einige bekannte Figuren im Reich des Traumgottes «Dream». Dieser selber tritt lediglich als Nebendarsteller auf.
Zeichner verweigert sich dem Medium
Ungewöhnlich wirkt im Gegenzug die Aufmachung von «Traumjäger». Denn von einem Comic kann nicht wirklich
die Rede sein, es handelt sich um eine illustrierte Erzählung. Dies weil der Künstler Amano sich weigerte, einen Comic zu zeichnen. Trotzdem ist der Bildanteil sehr hoch und übersteigt den Umfang des
Texts. Die Zeichnungen reichen von skizzenartigen Kohlezeichnungen über sanft wirkende Wasserfarbenbilder bis hin zu aufwändig und detailreich gestalteten Gemälden, die auch farblich genau so
aussehen wie altertümliche japanische Kunstwerke. Schlüsselszenen der Geschichte werden jeweils mit einer Bild-Doppelseite, die ohne Text auskommt, eingefangen. Durch die intensiven Momentaufnahmen
ertappt man sich oft dabei, fast länger bei den Bildern zu verweilen als beim Lesen des Texts. Den eindrücklichsten Teil des Buches bildet die seitenlange, wortlose Traumreise des Mönchs, die das
Eintauchen in eine fremde Welt effektiv spürbar macht.
Der Höhepunkt der Reise widmet sich dem Auftritt von «Dream»: Ein leicht übertrieben wirkendes, aufklappbares, vierseitiges Gemälde. Bilder und Text scheinen über die gesamte Geschichte hindurch
schwebend und geheimnisvoll. Dies geht so weit, dass in gewissen Momenten nicht einmal der Erzähler genau weiss, was geschehen ist und auch ihm nur Spekulationen bleiben. Gaimans Erzählung wirkt
authentisch und könnte bis auf wenige Details als Sage aus dem alten Japan durchgehen. Der Plot um den Mönch und den Fuchsgeist geht einem – nicht nur wegen des Ausgangs der Geschichte – nahe und
lässt den Leser mit der folgenden Rache ein echtes Wechselbad der Gefühle erleben. Als Ganzes betrachtet wirkt die Erzählung wie ein buddhistisches Lehrstück, bei der sich der Kreis am Ende schliesst
und das Ende ohne klare Gewinner auskommt. Jene, denen es gelingt, sich auf die fremde Welt und die ungewöhnliche Liebesgeschichte der «Traumjäger» einzulassen, erwartet ein bewegendes Märchen
für Erwachsene und die Entdeckung eines kleinen Comic-Schatzes, bei dem mehrmaliges Durchlesen garantiert ist.
Sasa Rasic, im Oktober 2008
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