Holy Terror

Superhelden gegen Dschihadisten

Nicht der Joker, nicht Lex Luthor, sondern ruchlose Islamisten wollen in Frank Millers neuestem Streich Amerika den Todesstoss versetzen. Das lässt ernsthafte Zweifel an der geistigen Verfassung des Starautors aufkommen.

Es beginnt wie eine klassische Superhelden-Story: Ein selbst ernannter Hüter des Gesetzes namens "Richter" jagt eine namenlose und ebenfalls maskierte Diebin eines Diamantarmbands über die nächtlichen Dächer von Empire City. Einige heftige Kampfszenen später liegen sich die beiden Kampfmaschinen schliesslich in den muskelbepackten Armen.

 

Dann der Riss: Eine muslimische Selbstmordattentäterin lässt in einem nahen Club eine Nagelbombe hochgehen, auch die akrobatisch gewandte Edelschurkin bekommt etwas ab. Kurzerhand tun sich die beiden ehemaligen, grafisch frappant an Batman und Catwoman gemahnenden Antagonisten zusammen, um die Gefahr zu bannen, die in jener Nacht Empire City, exemplarisch für den Nabel der so genannten freie Welt stehend, flächendeckend zu vernichten gedenkt – al Qaida.

 

Grafisch erneut superb umgesetzt

Mit "Holy Terror" (Panini, zirka 30 Euro/40 Franken) liegt Frank Millers Comic ein Jahr nach seiner Erstpublikation nun auch auf Deutsch vor. Formal gibt es am Band des Schöpfers von für das Medium so wegbereitenden Werken wie der "Sin City"-Reihe und "300" (beide auch Kassenschlager in den Kinos) rein gar nichts zu bemäkeln: Die für den 55-jährigen US-Amerikaner charakteristisch gewordene Schwarz-weiss-Optik mit vereinzelten Farbeinsprengseln kommt im Querformat, zusammen mit den oft ganzseitigen Illustrationen, dem randlosen Layout und den massig-eckig gezeichneten Körpern, hervorragend zur Geltung.

 

Auch die mit ihren ungewöhnlichen Einstellungen und äusserst effektiv eingesetzten (Panel-)Schnitten an den Film erinnernde Erzählweise weiss – auch wenn sie inzwischen Patina angesetzt hat und arg selbstreferenziell anmutet – einmal mehr zu gefallen.

 

Externes "absolutes Böses" gefunden

Von dieser unleugbar gelungenen visuellen Verpackung abgesehen, irritiert "Holy Terror" inhaltlich jedoch aufs Höchste. Zwar könnte man die Versuchsanlage, Superhelden und -schurken zusammen gegen Terroristen, die eine tatsächliche Entsprechung in der realen Welt haben, antreten zu lassen, quasi als weiteren logischen Entwicklungsschritt in Millers Oeuvre betrachten. Dies, da bereits sein 1986 erschienener Comic "Batman: Die Rückkehr des Dunklen Ritters" grossen Anteil an der Dekonstruktion des Genres hatte. Aus den einst unantastbaren strahlenden Superhelden waren selbstgerechte, kaputte Fanatiker geworden, letztlich nicht minder verabscheuungswürdig als ihre irren Widersacher.

 

Dieser Logik sich symbiotisch bedingender, Teile eines Ganzen ausmachenden Gegenpole folgend, braucht es nun ein neues zu bekämpfendes, von aussen kommendes "absolutes Böses". Dieses scheint Miller im Islam gefunden zu haben – davon geben allein schon die karikaturistisch-stereotyp und fratzenhaft dargestellten Physiognomien der Dschihadisten ein beredtes Zeugnis ab.

 

Antithese zum offiziellen 9/11-Marvel-Beitrag

Sofern man bereit ist, "Holy Terror" als im Bereich des Fiktiven und Imaginären angesiedeltes Kunstprodukt zu akzeptieren, könnte man von einer tiefzynischen Umdeutung des Plots des legendär gewordenen 9/11-"Spider-Man"-Hefts mit dem schwarzen Umschlag sprechen: Statt die amerikanischen Superhelden und -schurken vereint zusammenstehen zu lassen, um Terroropfern zu helfen, geraten in Millers phantasmagorischer Vision allein die Widersacher in den Fokus.

 

Mit diesen wird unprätentiös getreu dem alttestamentarischen Credo "Auge um Auge, Zahn um Zahn" und dem machiavellistischen Leitspruch "Der Zweck heiligt die Mittel" verfahren.

 

Brechreiz fördernde Ernsthaftigkeit

Bei der Lektüre des vorliegenden Bandes wird man jedoch den Verdacht partout nicht los, dass man es hier mit als Kunst getarnter Propaganda radikalpatriotischer Kreise zu tun hat. Gewiss: Bereits das ebenfalls ultrabrutale und emporstilisierte Perserkriegs-Epos "300" wies einige, gerade in der Verfilmung kaum auszuhaltende, von Pathos triefende Momente auf – doch "Holy Terror" mit seinem durchgehend schwülstig-ernsthaften Tonfall ist unscheidbar durchtränkt davon. Dies lässt die Frage aufkommen, was mit Frank Miller in den letzten Jahren geschehen ist und wo seine zu monströser Grösse angewachsenen blinden Flecken herrühren mögen. So oder so dürfte man fortan den gefeierten Künstler und dessen Gesamtwerk unumkehrbar in einem komplett anderem Licht wahrnehmen.

 

Den Blick konsequent vom Autor wegrückend, wird die Lektüre zur beklemmenden Anatomiestunde: Zum Vorschein kommt die Innenansicht eines irreparabel verwundeten und nach wie vor hochgradig traumatisierten Amerikas, dessen "War on terror"-Parole zu einer fixen, selbstzweckverhafteten Idee geworden ist.

 

Popularität gibt den Ausschlag

Selbst aus der Warte eines komplett liberalen Geists und die Mündigkeit des Lesers vor Augen scheint es nicht übers Ziel hinaus geschossen, Frank Millers Comic "Holy Terror" – dem populären Autornamen und der herausragenden Ästhetik geschuldet – als brandgefährlich einzustufen. Der Bildband ist aufgrund seiner Eindimensionalität bestens dazu geeignet, Hass und Ressentiments auf beiden Seiten zu zementieren, wenn nicht gar zu schüren.

 

Dave Schläpfer, im Dezember 2012