Interview Cosey

Auf der Suche nach dem verlorenen Bruder

Es ist ruhig geworden um Cosey, den einstigen Shootingstar der Schweizer Comic-Szene. Der heute 58-Jährige hat die Zeit genutzt, um sein Oeuvre in seinem eigenen Tempo zur Blüte zu bringen.

Cosey im Jahr 2007. (Bild pd)
Cosey im Jahr 2007. (Bild pd)

Der Westschweizer Bernard Cosandey, besser bekannt als Cosey, feierte in den 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre mit seinen innovativen Comic-Erzählungen, darunter die Serie «Jonathan», grosse Erfolge und räumte die wichtigsten europäischen Preise wie etwa den deutschen Max-und-Moritz-Preis ab. Statt nach den Auszeichnungen der Dynamik zu unterliegen und mehr zu produzieren, blieb er seinen autobiografisch angehauchten Geschichten und seinem Tempo, bei denen der Abstand zwischen den Bänden schon einmal bis zu elf Jahre dauern kann, treu.

 

Anlässlich der Neuauflage seines Bands «Auf der Suche nach Peter Pan» (siehe Besprechung unten) sprachen wir mit dem Künstler. Der lange vergriffene Comic-Klassiker gilt als eine seiner reifsten Arbeiten und wird als Meisterstück der europäischen Comic-Kunst gehandelt.

«Auf der Suche nach Peter Pan» wurde vor über 25 Jahren zum ersten Mal veröffentlicht. Welchen Bezug haben Sie heute noch zu dieser Geschichte?

 

Cosey: Ich empfinde es als eines meiner gelungensten Werke. Und es ist ein sehr persönlicher Comic, da ich sehr viele Erinnerungen darin einfliessen liess.

 

Der Comic wurde europaweit ausgezeichnet. Würden Sie ihn als Ihr wichtigstes Werk bezeichnen?

 

Cosey: Der beste und wichtigste Comic ist immer der neueste (lacht). Aber es ist schon einer meiner Lieblingsbände von denjenigen aus der eigenen Feder. Eine besondere Genugtuung bei «Peter Pan» ist auch, dass meine damaligen Verleger mir von einer abgeschlossenen Geschichte abgeraten haben, da sich eine Serie besser verkaufen würde. Schliesslich habe ich mich durchgesetzt – und der Band ist auch von den Verkaufszahlen her ein beachtlicher Erfolg geworden.

Das Wallis der 1930er-Jahre ist ein eher ungewöhnliches Szenario – wie sind Sie darauf gekommen?

 

Cosey: Mir war klar, dass ich weder einen Western noch Science-Fiction machen wollte, da ich diese Genres nur aus der Literatur und von Kinofilmen her kenne und bei so einer Geschichte zu wenig aus meinem eigenen Erfahrungsschatz hätte einbringen können. Deshalb wählte ich das Wallis, wo ich seit meiner Kindheit immer wieder die Ferien verbracht habe. Auf diese Weise war der Bezug gegeben und ich konnte auf Kenntnisse aus erster Hand zurückgreifen. Auch was die Figur des Protagonisten, ein Schriftsteller, anbelangt, habe ich viele Elemente aus meiner Tätigkeit als Comic-Autor einfliessen lassen.

 

Der Inhalt hat mit dem Titel wenig zu tun. Weshalb diese Wahl?

 

Cosey: Mit der Originalgeschichte des Peter Pan von James Matthew Barrie hat mein Comic wirklich nicht mehr viel gemeinsam. Ich habe mich von einigen Passagen aus dem Buch inspirieren lassen und diese auf meine eigene Weise wiedergegeben. Es ging mir vor allem darum, den Comic literarisch und zeitlich einzubetten. Sonst wären es ja vor allem gezeichnete Erinnerungen meiner Ferien geworden, was wahrscheinlich für den Leser nicht sonderlich interessant wäre.

 

Gibt es einen Grund, weshalb der Band im Gegensatz zur Mehrheit Ihrer anderen Werke im Inland spielt?

 

Cosey: Auf den ersten Blick mag das eine Abweichung sein. Aber man muss bedenken, dass die Geschichte in den 1930er-Jahren spielt. Und das Wallis dieser Zeit ist mindestens genauso exotisch wie weit entfernte Länder. Für den Produktion des Bandes bin ich statt kilometerweit einfach «jahreweit» gereist.

 

Reisen kann man als Hauptmotiv Ihrer Werke bezeichnen. Ihre Charaktere sind meistens auf einer inneren Suche und vollziehen diese Reise auch äusserlich, indem sie ferne Länder besuchen. Was bedeutet das Reisen für Sie?

Cosey: Dass mein wichtigstes Thema die Suche oder Reise ist, würde ich so unterschreiben. Reisen ist etwas sehr Wichtiges für mich, da es sich dabei um eine Art geistige Nahrung handelt. Auf diese Art entsteht das Rohmaterial für meine Ideen und Bilder. Es interessiert mich auch sehr, die Unterschiede zwischen den Kulturen kennen zu lernen. Vor allem auf meinen Tibet-Reisen untersuche ich die Unterschiede jeweils vertieft – und manchmal stellt sich dabei heraus, dass diese nur oberflächlich sind und zahlreiche Gemeinsamkeiten bestehen.

 

Thematisieren Sie nur Gebiete, die Sie selber tatsächlich auch bereist haben? Lassen Sie mich überlegen.

 

Cosey: Diese Frage ist mir bis jetzt noch nicht gestellt worden (Schweigen). Ja, wenn ich so überlege, habe ich alle meine Handlungsorte schon einmal real bereist. Das kommt auch meinen Comics zu Gute, denke ich. Nur die ersten drei Bände von «Jonathan» habe ich entworfen, bevor ich jemals in Tibet war. Bis jetzt war ich unter anderem in den Vereinigten Staaten, Vietnam, zwei Mal in Burma – und fünf Mal in Tibet, welches ich als mein Lieblingsland betrachte.

 

In Ihrem Werk zeigen Sie auch die Unterdrückung der Bevölkerung in Ländern wie Tibet und Burma auf ungeschönte Weise. Ist es Ihnen wichtig, dass Ihre Comics eine politische Aussage haben und sind Sie deswegen schon in Schwierigkeiten geraten?

 

Cosey: Nein, politische Aussagen sind nicht mein Ziel. Ich zeige lediglich die Realität – dazu fühle ich mich verpflichtet. Probleme deswegen gab es bis jetzt noch keine. Ich konnte immer in diese Länder einreisen. Wahrscheinlich beobachten die betreffenden Regierungen eher die Presse, als dass sie Comics lesen.

 

Was halten Sie von der Schweizer Comic-Szene und wo sehen Sie Unterschiede zwischen der Romandie und der Deutschschweiz?

 

Cosey: In der Deutschschweiz erkenne ich bei den Autoren einen Trend zu Geschichten, die einen erheblichen Rechercheaufwand mit sich bringen. Ausserdem scheint hier ein grösserer Wille zu Experimenten und Innovation vorhanden zu sein. In der Deutschschweiz ist die junge Generation der Comic-Schaffenden äusserst viel versprechend. In der Romandie sind die Comics von sehr guter Qualität, nur scheint man eher auf die frankophone Comic-Tradition statt auf Abwechslung zu setzen.

War es schwierig für Sie, Comic-Schaffender zu werden?

 

Cosey: Eigentlich nicht. Ich war schon in der Jugend von dieser Idee absolut überzeugt, und als ich Derib (mehrmals ausgezeichneter Schweizer Comic-Schaffer, der unter anderem «Yakari» zeichnete, Anm. d. Red.) traf, ging alles ganz schnell. Ganz zu Beginn lief es finanziell nicht so gut, aber dank meinen Eltern, die mich unterstützten, musste ich nie Hunger leiden.

 

Haben Sie eigentlich immer noch Kontakt zu ihrem Mentor Derib, und welchen Einfluss hatte er auf Sie?

 

Cosey: Natürlich haben wir Kontakt, wir sprechen regelmässig miteinander. Derib war einer meiner grössten Einflüsse, weil er mir viel über die Grundlagen des Comics beigebracht hat, wie Erzähltechnik, Recherchieren, Seitenaufbau und die Fähigkeit, Charaktere sympathisch zu gestalten.

 

Anscheinend sind Sie mit einem anderen Comic-Talent befreundet, das sich im deutschsprachigem Raum immer grösserer Beliebtheit erfreut: Dem Japaner Jiro Taniguchi. Haben Sie dadurch einen speziellen Bezug zu den Manga?

 

Cosey: Freundschaft ist ein bisschen übertrieben. Ich habe ihn einmal in Tokyo getroffen – und ja, es war doch recht freundschaftlich. Ich schätze ihn und lese auch seine Werke. Aber Manga hatten eigentlich nie einen Einfluss auf mich. Ich lese einige davon und erfreue mich an den kulturellen Eigenheiten der japanischen Comics.

 

An was arbeiten Sie zurzeit, was dürfen wir in Zukunft von Ihnen erwarten? Befindet sich ein neuer Band von «Jonathan» in Planung?

 

Cosey: Der 15. Band von «Jonathan» ist in nächster Zukunft kein Thema (zur Besprechung des 14. Bandes »). Momentan schreibe ich an einem Szenario und suche selbst nach einem geeigneten Zeichner dafür. Worum es geht, verrate ich noch nicht, dazu ist es zu früh. Aber ich kann schon einmal sagen, dass es sehr originell werden wird. Veröffentlicht wird der Comic voraussichtlich 2010. Ich würde sehr gerne 2009 sagen, aber das wird nicht möglich sein.

 

Das Interview führte Sasa Rasic im April 2009

Leben und Werk
Bernard «Cosey» Cosandey wurde 1950 in Lausanne geboren und lebt heute in Pully (VD). Der Comic-Autor und -Zeichner erregte 1977 erstmals mit der immer noch laufenden Weltenbummler-Serie «Jonathan» das Interesse der Öffentlichkeit. Für seine Comics wurde Cosey mit Auszeichnungen aus ganz Europa geehrt und erhielt mehrmals den Max-und-Moritz-Preis. Unter anderem für die beste deutschsprachige Comic-Publikation für «Auf der Suche nach Peter Pan».

Auf der Suche nach Peter Pan

Minutiös recherchiert – kunstvoll in Szene gesetzt

Ein altes Holzkreuz: Das ist das einzige, was von Melvin Woodworths älterem Bruder übrig geblieben ist. Ende der 1920er-Jahre begibt sich der englische Schriftsteller unter dem Vorwand, einen neuen Roman zu schreiben, ins Wallis, will aber insgeheim seinen Bruder suchen, der zuletzt im Dorf Ardolaz gesehen wurde. Als dieses wegen eines drohenden Gletschersturzes evakuiert wird, entscheidet Woodworth zu bleiben.

 

In der Neuauflage von «Auf der Suche nach Peter Pan» (Cross Cult, zirka 45 Franken) erscheinen die ursprünglich zwei Bände von 1984/85 als Gesamtausgabe. In starken, erdigen Farben erzählt Cosey vom Schicksal des Bergdorfs Ardolaz. Bereits nach den ersten Seiten ist klar, weshalb der Comic geradezu mit Lorbeeren überhäuft worden ist: Cosey versteht es meisterhaft, die erzählerischen Möglichkeiten des Mediums Comic auszuschöpfen, auch indem er seitenweise komplett auf Text verzichtet. Kurzerhand löst Cosey Panellinien auf und lässt die Bilder zu einer Art Collage werden oder bettet einzelne Zeichnungen in den weissen Hintergrund ein. Sogar das Experiment, eine in der Geschichte gespielte Klavier-Melodie mit assoziativen Bildern darzustellen und so die Musik durch Bilder zu ersetzen, gelingt auf beeindruckende Weise.

 

Neben dem grafischen Aspekt besticht der Comic auch durch seinen Plot: Mit dem kargen Leben auf den Alpen des Wallis in den 1930er-Jahren verwendet Cosey ein unverbrauchtes Szenario. Dieses stellt sich auch als akribisch recherchiert heraus: Zwar sind Dorf und Hauptcharaktere fiktiv, doch von der Architektur bis hin zum historischen Walliser Münzfälscher Farinet werden unzählige Details von damals berücksichtigt. Wenn man «Auf der Suche nach Peter Pan» etwas ankreiden kann, dann wahrscheinlich höchstens den Schluss, der leider allzu trivial ausfällt. Neben der Geschichte glänzt die Neuauflage mit einer Einführung zum geschichtlichen Hintergrund des Handlungsortes und ausführlichen Informationen zu Coseys Werk und Leben. (ras)

 

Mehr Infos und Leseprobe »

Kommentar schreiben

Kommentare: 0