Verlagsschau

Knesebeck-Special

Funnys, Artcomics, Literaturadaptionen, Popup-Bücher, Erotik: Knesebeck – ein aufstrebender Verlag auch im Comicbereich. Nach dem Vorbild des Shodoku-Schwerpunkts (seit Monaten einer der am meisten angeklickten Bereiche auf Comic-Comic) wird an dieser Stelle aus unabhängiger Warte sukzessive das gesamte Graphic-Novel-Programm des Münchner Verlagshauses vorgestellt. Reinschauen lohnt sich also garantiert auch noch zu einem späteren Zeitpunkt!

Plastische Abenteuerwelten

In meinen jungen Jahren gabs im Hort ein Kinderbuch über ein Gruselschloss, bei man allerlei ausklappen, aufdecken und bewegen konnte. Dieses habe ich sofort ins Herz geschlossen und bei jeder Gelegenheit konsultiert. Der Titel ist mir zwar abhanden gekommen – doch die Faszination für Pop-up-Bücher ist geblieben.

 

Dieses kindliche Staunen stellt sich sofort wieder ein beim Schmökern in «20'000 Meilen unter dem Meer» von Sam Ita (zirka 50 Franken; in derselben Reihe vom gleichen Autor: «Moby-Dick» und «Frankenstein»). Bei den zum Leben erweckten Klassikern der Weltliteratur in Comicform handelt es sich meines Wissens um ein absolutes Novum. Am Beispiel von Kapitän Nemos Geschichte zeigt sich Itas ganze Kunst: Der angreifende Riesenkrake, die im Strudel entschwindende Nautilus – all das wird durch die ausklappbaren Teile in einer ganz neuen Dimension erfahrbar und sorgt für eine zutiefst sinnliche Lektüre.

 

Natürlich hat diese unglaubliche Fokussierung auf die Darstellung auch ihren Preis: Inhaltlich kommen die Werke extrem verkürzt daher; wer die Originale nicht oder nur rudimentär kennt, den dürften die Handlungssprünge zwischen den Seiten verwirren. Auch Itas reduzierter Zeichenstil dürfte nicht jedermanns Sache sein. Ferner ist nicht immer sofort klar, in welcher Reihenfolge die Panels gelesen werden müssen. So oder so lässt sich der innovative Ansatz und die Liebe zum Detail in der Ausführung nicht leugnen. Ein Hingucker – im wahrsten Sinne des Wortes! (scd)

 

Video: Sam Ita bei seiner Arbeit »

Kafkas Fleisch gewordener Albtraum

Welches «Ungeziefer» geisterte Franz Kafka im Kopf herum, als er 1912 in einer seiner Nachtschreib-Attacken die düstere Novelle «Die Verwandlung» zu Papier brachte? Steht das Insekt, in das sich Gregor Samsa «eines Morgens verwandelt fand», im Grunde nicht für etwas anderes, handelt es sich also nicht vielmehr um eine Metapher als um ein tatsächlich physisch Existierendes? Der Autor selber wenigstens wehrte sich in einem Schreiben an seinen Verleger, dass der Käfer auf dem Cover bildlich dargestellt werden darf: «Das Insekt selbst kann nicht gezeichnet werden. Es kann aber nicht einmal von der Ferne aus gezeigt werden.»

 

Wie dem auch sei: Dieses Verbot hat die Nachwelt nicht gross gekümmert (wie auch Max Brod Kafkas Anweisung, nach seinem Tod alle Manuskripte zu verbrennen, nicht gefolgt ist). Und so erscheint nach unzähligen Visualisierungen in Illustration und Film sowie auch einer Comic-Kurzfassung von Comix-Altmeister Robert Crumb (enthalten in «Kafka kurz und knapp») nun mit «Die Verwandlung» (zirka 34 Franken) von Eric Corbeyran und Richard Horne die Adaption der gesamten Erzählung, die einen herausragenden Platz in Kafkas Oeuvre einnimmt, in Comicform. Ob man dieser generell eine Chance gibt, hängt davon ab, ob man bereit ist, sich «ein Bild zu machen». Falls ja, darf man sich auf eine werktreue, grafisch gelungene und durch die Realisierung in dunklen Farbtönen (mit farbigen Akzenten) sehr atmosphärische Umsetzung freuen – die letztlich auch Lust auf die (Re-)Lektüre des Klassikers macht. (scd)

 

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Woody Allen – das Original

Zugegeben: Das Publikwerden der Liaison des 56-jährigen Woody Allen mit seiner 34 Jahre jüngeren Quasi-Stieftochter Soon-Yi Previn hat auch mich als offener Geist und langjähriger Allen-Fan nicht völlig unberührt gelassen (bei gleichzeitiger Verurteilung der Skandalisierung in der Yellow Press). Dies hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich es nie geschafft habe – aber Allen macht einem das zugegebenermassen auch nicht gerade einfach – den New Yorker Komiker als reale Person von derjenigen seiner neurotischen Filmfiguren klar zu unterscheiden. Wie auch immer, einmal die Frage aussen vor lassend, wie relevant sein Alterswerk im Gesamt-Oeuvre dereinst zusammenfassend eingeschätzt werden wird: Woody Allen bleibt ein Phänomen – gerade was seine Massenwirkung und seiner fortwährende Hipness anbelangt.

 

Das hat auch ein Erschreckendes, wie ich in meiner Rolle als Regionaljournalist bei der Neueröffnung eines todschicken Herrenmodegeschäfts unlängst feststellen musste: Getreu dem gepflegten Konzept, alles für den modernen Mann unter einem Dach anzubieten, lagen neben Markenkleidung auch Parfüms und Accessoires bereit – und Bücher, darunter tatsächlich «Vom Irrsinn des Lebens – Woody Allen in Comic-Strips» (zirka 50 Franken) von Stuart Hample. Nun gut: Es ist ja schön (und gereicht Knesebeck wirtschaftlich sicher nicht zum Nachteil), dass der im Querformat realisierte, 240 Seiten starke Band anscheinend von einer breiten und eben auch teilweise exklusiven Klientel wahrgenommen wird.

 

Auf den konkreten Inhalt der Strips, die von 1976 bis 1981 unter dem Titel «Inside Woody Allen» im amerikanischen «People Magazine» erschienen sind, bezogen, kann ich nur sagen: Woody in Reinkultur. Hochphilosophisches trifft in diesen wunderbar ironischen Miniaturen wie in den Filmen auf Trivialstes – und natürlich stehen dabei Themen wie Frauen, Psychoanalyse und Judentum im Vordergrund. Dies selbstredend immer unter dem Eindruck des Hangs zur typischen Selbstverkleinung bei gleichzeitiger monumentaler Selbstüberschätzung von Allens stilisiert zu Papier gebrachtem Alter Ego. Herauszustreichen gilt an dieser Stelle, dass die Gags nicht nur einfach nur von Woody Allen autorisiert wurden, sondern tatsächlich aus seiner Schublade stammen. Freude bereitet auch die Machart des Bandes: Es handelt sich nämlich um einen Faksimile-Druck der Strip-Rohversionen, was eine herrlich sympathische organische Marke hinterlässt und an die Zeiten erinnert, wo Tipp-Ex und Überklebungen zu noch den unersetzlichen Werkzeugen eines jeden Zeichners zählten. (scd)

 

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Matt Groenings Welten kollidieren

Irgendwann 1991, Prä-Internet-Ära: Ich erinnere mich noch ziemlich genau an die Erstausstrahlung der «Simpsons» im deutschen Fernsehen. Als pickelbesetzter Teenager war ich gottenfroh, dass ich meine in dieser Hinsicht relativ restriktiven Eltern dazu überreden konnte, dass ich mir den «Trickfilm aus Amerika für Erwachsene» ansehen durfte. Ohne all die Informationskanäle, die heute ganz selbstverständlich schon von Kindesbeinen an zur Verfügung stehen, haftete den «Simpsons» in meinen Augen in meiner fiebrigen Vorfreude tatsächlich etwas Mystisches, ja gar Anrüchiges an. Drei Jahrzehnte später: Ein Fan der Serie, die sich als Longseller entpuppt hat, bin ich noch immer – auch wenn ich nur sporadisch einschalte, wenn die Bildschirme von den gelben Figuren dominiert werden. Den Zugang zu «Futurama», indes habe ich nie gefunden und auch nie gesucht; der «Simpsons»Ableger roch mir immer zu sehr nach Ausverkauf. Und schliesslich war ja gerade der Bezug zum realen Alltag (für mich wenigstens) das Interessanteste an der originalen Vorabendserie. Dasselbe Befremden galt für die Comics: Ich will die Simpsons in Bewegung sehen und nicht starr auf Papier gebannt. Ich will die Titelmelodie (übrigens meine erste MP3-Datei) hören und mich am immer wieder minimal veränderten Vorspann erlaben.

 

Dementsprechend mag man mir bei der Besprechung von «Die Simpsons Futurama Crossover Krise» (zirka 50 Franken) Befangenheit vorwerfen – wohl tatsächlich nicht ganz zu Unrecht. Nichts desto Trotz: Die Geschichte (die versammelte Futurama-Mannschaft wird von feindlichen Riesenhirnen in einem «Simpsons»-Comic versiegelt und muss einen Weg zurück in ihre Welt finden) ist wirklich unterhaltsam und wartet mit einigen tollen Gags auf, auch wenn der Plot mit zunehmendem Fortschreiten je länger je mehr ad absurdum getrieben wird. Trotz dieses positiven Eindrucks stellt sich die Frage, ob es nicht ein ganz normaler Pappeinband getan hätte. Natürlich nicht!, werden eingefleischte Fans sagen, die mit mannigfaltigem Bonusmaterial aufwartende Luxusausgabe im gestanzten Schuber fest an sich drückend. Und mit diesem Veto liegen sie sicher richtig – zumal selbst ich das Kribbeln bekommen habe, als ich den beigelegten Faksimile-Druck des allerersten «Simpsons»-Comics von 1993 entdeckt habe. (scd)

Unendliche Retrospektive

Ausgelöst durch den Duft eines in Schwarztee getunkten Madeleines wird ein erwachsener Ich-Erzähler im Geiste in die Tage seiner glücklichen Kindheit auf dem Lande Ende des 19. Jahrhunderts zurückversetzt. Vor dem inneren Auge ist er wieder in Combray, wo er als Spross gutsituierter Eltern aufwuchs.

 

Mit «Combray» (Knesebeck, zirka 34 Franken) erscheint der erste Teil der Comicadaption von Marcel Prousts Klassiker «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit» (im Original erstmals 1913 erschienen) von Stéphane Heuet. Ohne die insgesamt siebenbändige Vorlage zu kennen, lässt sich über die Nacherzählung in Text und Bild, deren Gestaltung mehrere Jahre in Anspruch nahm, Folgendes sagen: Die konventionell und altmodisch wirkende Grafik dürfte im ersten Moment nicht wenige versierte Comicleser abschrecken. Hat man sich aber erst einmal mit dem unscheinbaren Artwork angefreundet, werden dessen Qualitäten sichtbar. Diese liegen in der perfekten Harmonie zum bedächtigen Erzählstil und -tempo von Prousts Text. Auch wenn – und das ist meine ganz persönliche Einschätzung – gewisse Passagen rein inhaltlich nicht jedermann gleich interessieren dürften und selbst stark verkürzt gar langweilen könnten (ich spreche damit auf die sehr detaillierte Beschreibung der gutbürgerlichen Gepflogenheiten von anno dazumals an), werden andere Stellen dieser Rückkehr zu den Sinnen mit Bestimmtheit für lange Zeit in wunderbarer Erinnerung bleiben und Anlass zu eigenen Gedankenreisen zu den Anfängen geben: Die Sehnsucht am Abend im Bett nach der Mutter, Naturbeobachtungen, die Imposanz eines Kirchenschiffs, die Erahnung der eigenen Sexualität. Mit dieser auf die eigenen Lebenszusammenhänge fokussierten Lesart wird «Combray» garantiert auch Nicht-Romanisten erfreuen. (scd)

 

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