Comix-Festival Fumetto Luzern

«Bei uns haben Comics Tradition»

Wir sprachen mit Yuichi Yokoyama und Daisuke Ichiba über die Unterschiede der japanischen und westlichen Comic-Kultur und die lange Tradition der japanischen Bildergeschichten.

Wie finden Sie es, die ersten Gäste zu sein, die jemals aus Fernost ans Fumetto eingeladen wurden?

 

Daisuke Ichiba: In erster Linie ist es eine grosse Ehre. Es ist eine wichtige Gelegenheit für uns.

Yuichi Yokoyama: Wir sind sehr dankbar und fühlen uns gut aufgehoben. Ein Grossteil der Beiträge am Fumetto beschäftigt sich mit europäischen Künstlern.

 

Wie nehmen Sie die hiesige Comic-Szene in Japan wahr?

 

Yokoyama: Ich muss gestehen, dass ich keine Ahnung davon habe. Dies liegt aber nicht an den Comics, sondern an meiner Lebensweise. Ich lebe ausschliesslich in meiner eigenen Welt und beschäftige mich beispielsweise auch nicht mit Politik.

Ichiba: Im Gegensatz zu amerikanischen Comics besteht in Japan kaum die Chance, europäische Werke zu lesen. Nur eingefleischte Fans scheuen keine Mühe um an sie ranzukommen.

In Japan sind Comics allgegenwärtig und werden von Personen jeglichen Alters gelesen. In den westlichen Ländern begegnet man ihnen oft mit Vorurteilen. Wieso gibt es Ihrer Meinung nach diesen kulturellen Unterschied?

 

Ichiba: In der japanischen Kultur haben Comics Tradition. Sie gehören zu unserer Geschichte und sind eigentlich uralt.

Yokoyama: Der älteste bis jetzt gefundene Vorläufer der japanischen Comics stammt aus dem 7. Jahrhundert. Und im 18. und 19. Jahrhundert nahm die Farbholzschnittkunst vieles vorweg. Doch die Popularität hat auch ihre Schattenseiten: Vor allem junge Leute verzichten zu Gunsten der Comics immer öfter auf richtige Literatur.

 

In deutschsprachigen haben die Manga, japanische Comics, in den letzten Jahren regelrecht geboomt. Wie erklären Sie sich das?

 

Ichiba: Dafür habe ich keine Erklärung. Wir sind aber dankbar dafür.

Yokoyama: Wir sind froh, dass auf diese Weise ein Teil der japanischen Kultur exportiert wird.

Einige der ausgestellten Werke von Yuichi Yokoyama:

Yokoyama-san, ihre Comics zeichnen sich durch Reduktion und den Verzicht von Elementen wie Text und Mimik aus. Was wollen Sie damit aussagen?

 

Yokoyama: Ich geniesse es, etwas auf eine Art zu gestalten, wie es niemand sonst macht. Mein Hauptmotiv ist das Phänomen Zeit. Und der Zeit sind die Menschen egal. Deshalb versuche ich jegliche menschliche Wärme aus meinen Bildern zu beseitigen. Diesbezüglich ist übrigens eine Parallele zu erwähnen: japanische Holzschnitten aus der Vormoderne, die auch auf Mimik verzichten. Ich versuche meine Figuren so zu zeigen, wie Vögel oder Objekte sie wahrnehmen würden.

Ichiba-san, ihre Ausstellung schockiert einige Besucher aufgrund ihrer Brutalität und Freizügigkeit. Ist dies bewusste Provokation?

 

Ichiba: Jeder Mensch hat Gutes und Böses in sich. Das Unschöne, was ich zeichne, ist einfach ein Teil der Wirklichkeit. Wenn ich etwas Schönes gestalte, muss ich diesem etwas Hässliches gegenüberstellen. Nehmen wir nur meine wiederkehrende Frauenfigur, die ich Izumi nenne. Sie ist auf den ersten Blick bildhübsch, aber Schönheit ist nur etwas Oberflächliches. In ihr drin steckt Hässlichkeit, wie Exkremente oder das Potenzial, jemanden auf bestialische Weise zu ermorden. Auf diese Weise stelle ich ein Gleichgewicht her. Wenn ein Betrachter meine Werke abstossend findet, sagt das viel über ihn aus. Er beachtet nur eine Seite der Wirklichkeit.

Einige der ausgestellten Werke von Daisuke Ichiba:

Ihre Stile weisen deutliche Abweichungen von der üblichen Comic-Kunst auf. Würden Sie sich noch als Comic-Zeichner bezeichnen?

 

Yokoyama: Wenn mich jemand nach meinem Beruf fragt, sage ich einfachheitshalber: Selbständiger Comic-Zeichner.

Ichiba: Auch wenn ich vom Medium Comic narrative Elemente gebrauche, lehne ich diese Bezeichnung ab. Schlicht und einfach, weil Kategorien für mich bedeutungslos sind. Aber für das Publikum scheint eine gewisse Schubladisierung unerlässlich zu sein.

 

Sie haben sich in verschiedene Richtungen enwickelt. Yokoyama-san ist von der Malerei zum Comic gestossen. Bei Ichiba-san war es genau umgekehrt. Wie kam es dazu?

 

Ichiba: Bei mir war es eine göttliche Fügung.

Yokoyama: Ich hatte immer mehr das Gefühl, durch die einzelnen Gemälde begrenzt zu werden. Deshalb der Wechsel.

Kannten sie einander bereits vor dem Fumetto?

 

Yokoyama: Nein, aber ich verfolge die Comic-Szene auch nicht.

Ichiba: Ich habe einige von Yokoyamas Werken vor etwa 10 Jahren in einem Antiquariat gekauft und gelesen.

 

Sie beide sind zum ersten Mal in der Schweiz. Was ist ihr erster Eindruck?

 

Ichiba: Ich bin zu erstaunt darüber, überhaupt in Europa zu sein, um etwas sagen zu können.

Yokoyama: Alles ist sehr sauber. Aber ich bin enttäuscht, dass es keinen Schnee hat. Auffallend ist auch, dass die Menschen hier äusserst ruhig sind. So fühle ich mich richtig geborgen.

 

Sasa Rasic, im April 2009

 

Das Interview wurde auf Japanisch geführt.

 

Zum Artikel über die Performance der beiden Künstler »

 

Informationen und Video mit Impressionen zu «Travel» von Yuichi Yokoyama »

 

Webseite von Daisuke Ichiba »

Yuichi Yokoyama (*1967) widmete sich zu Beginn seiner Laufbahn zunächst der Malerei und wandte sich später dem Medium Comic zu. Sein Stil zeichnet sich durch strenge geometrische Formen und die reduzierten Gestaltungsmittel aus. In seinen Comics verzichtet Yokoyama weitgehend auf Dialoge, Namen und Mimik.

 

Daisuke Ichiba (*1963) bewegt sich mit seinem Werk im japanischen «Ero-Guro»-Genre, dass sich von den Wörtern erotisch und grotesk ableitet. Ichibas schwarz-weisse Bilder zeigen albtraumhafte Szenen, die auf den ersten Blick verstörend und deren Entschlüsselung eine Herausforderung für den Betrachter ist.

 

Im Rahmen des Fumetto-Festivals waren ihre Werke im Kunstmuseum Luzern (Yokoyama) und Hotel Löwengraben (Ichiba) zu sehen. (ras)

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