Comics neu erfinden

Comic-Manifest

Wie sieht die Zukunft des Comics im Internet- und Multimedia-Zeitalter aus? Scott McCloud entwirft dazu in seiner aktuellen Publikation ein mögliches Szenario.

Einerseits überkommt einen - verbunden mit einer gewissen Resignation und Abgeklärtheit - gerade dieser Tage oft das laue Gefühl, dass sich der Lauf der Dinge auf dieser Welt nicht ändern lasse, womit man versucht ist, Anflüge von scheinbar grenzenlosem Optimismus und Engagement zwar mitleidig, aber doch mit dem notwendigen Quäntchen Neid zu belächeln. Andererseits braucht es immer vor Idealismus sprühende Pioniere, schwärmerische Enthusiasten, um eine Umbewertung, ein Umdenken in der Gesellschaft ins Rollen zur bringen, was keine leichte Aufgabe darstellt, zumal erste Ergebnisse möglicherweise erst nach Jahrzehnten oder noch längerer «Überzeugungsarbeit» sichtbar werden.

 

Pionierarbeit

Scott McCloud, der bereits mit seiner erstmals 1993 erschienen, mittlerweile zum Klassiker avancierten Publikation «Comics richtig lesen» für eine breitere Anerkennung des verpönten Mediums «Comic» plädierte und auf dessen ungeheures und nur zu oft zu wenig ausgenutztes Potenzial aufmerksam machte, gehört unbestritten zu diesen «Aufklärern» im Bereich des Comics. Nun doppelt der amerikastämmige, u.a. mit seiner Comicserie «Zot!» bekannt gewordene McCloud mit seinem aktuellen Buch «Comics neu erfinden» nach. Wiederum analysiert er den Comic, indem er sich selber ausschliesslich des zu untersuchenden Mediums zur Informationsübermittlung bedient - was zwar im Ansatz merkwürdig anmutet, bei genauer Überlegung jedoch durchaus Sinn macht - wobei sich McCloud, bzw. dessen stilisiertes Alter Ego in Comicform, auf einer Art Metaebene direkt an die Leserschaft wendet, was erstaunlich gut funktioniert. Thema in diesem zweiten Band, der sich im Grunde auch unabhängig von der Erstpublikation lesen lässt, sind unter anderem die veränderten Produktionsbedingungen im digitalen Zeitalter. Bezeichnenderweise ist diesbezüglich auch ein Update in McClouds Zeichnungsstil zu erkennen: «Comics neu erfinden» wurde ausschliesslich am Computer produziert.

 

Krise und Emanzipation

Im ersten Teil skizziert McCloud das Dilemma der Comicproduktion in den USA, welche nach dem weitgehenden Zerfall des Comic-Marktes nunmehr vollumfänglich dem wirtschaftlichen Diktat unterworfen sei. Im Klartext: Wer sich mit Comiczeichnen einigermassen über Wasser halten will, dem bleibt nichts anderes übrig, als sich dem Mainstream und damit dem Superhelden-Metier zuzuwenden, also Comics regelrecht zu «produzieren» - ein auf europäische Verhältnisse glücklicherweise nur bedingt anwendbarer Befund. Im zweiten Teil wird dann der Cyberspace und dessen Folgen auf das Medium «Comic» fokussiert: «Warum soll man Geschichten nicht vertikal oder horizontal, in der Form einer Treppe oder eines sich drehenden Kubus erzählen?» Ausserdem eröffneten sich durch das Internet gerade für unabhängige ComiczeichnerInnen bezüglich Präsentation und Distribution ungeahnte Möglichkeiten.

 

Es bleibt zu hoffen, dass McClouds mehr als empfehlenswertem Comic-Manifest (wiederum) eine breite Rezeption beschieden ist, daraus eine fruchtbare Diskussion über das Medium «Comic¬» erwächst und längerfristig gesamtgesellschaftlich ein Umdenken resultiert. Vielleicht muss somit auch die Vision einer eigenständigen und ernstgenommenen Schweizer Comicszene in absehbarer Zeit gar nicht mehr so vermessen und unrealistisch erscheinen ...

 

Dave Schläpfer, November 2001

 

Scott McCloud: Comics neu erfinden - Wie Vorstellungskraft und Technologie eine Kunstform revolutionieren. Originaltitel: Reinventing Comics. Carlsen, Hamburg 2001. 245 Seiten, 40 Franken

 

Scot McClouds eigene Website »

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