«Genesis»

Und dann schuf Crumb – die Bibel

Robert Crumb gilt als Gott des Underground-Comix. Jetzt hat sich der inzwischen 66-Jährige, der seine provokanten Bildergeschichten früher auf LSD schrieb, ausgerechnet an eine Umsetzung des Buchs der Bücher gemacht.

Monstertitten, Riesenärsche: Das ist der Robert Crumb, den man von «Fritz the Cat» und anderen legendären Underground-Comix aus den 60er- und 70er-Jahren her kennt. Der 1943 in Philadelphia geborene Künstler, den es im Zuge der Hippiebewegung nach San Francisco verschlug, bekam von feministischer Seite für seine Werke postwendend die Brandmarkung als Frauenverächter, der das weibliche Geschlecht auf die Rolle als Sexobjekt reduziere. Dazu kam aufgrund der stereotypen Darstellung von Afroamerikanern der Vorwurf des Rassismus. Gesellt sich nun dazu noch das Label des Ketzers?, kommt man aufgrund seiner neuesten Publikation «Genesis» (Carlsen, zirka 51 Franken) – einer Adaption des ersten Buchs der Bibel – nicht umhin zu fragen.

 

Ein Schwur macht den Anfang
Dass es Crumb mit seinem Unterfangen extrem ernst meint, macht dieser im ersten Satz des Vorwortes unmissverständlich klar: «Ich, R. Crumb, Illustrator dieses Buches, versichere hiermit, dass ich den Originaltext der Bibel nach bestem Wissen und Gewissen wortgetreu und ungekürzt wiedergegeben habe.» Nun denn: Auch wenn man es auf den ersten Blick beinahe nicht glauben will, hat sich Robert Crumb – subversiv-wahnwitziger Schöpfer des legendären verfickten, dauerbedrögelten Anti-Disney-Katers, der sich auch vor Terroranschlägen nicht scheut – eine werktreue Umsetzung der Heiligen Schrift zum Ziel gesetzt. Ein höchst ambitiöses Vorhaben, das leicht nach hinten losgehen kann.

 

Und da liegt es nun vor, das über 200-seitige, in schwarz-weiss ausgeführte, grossformatige Werk. Auf dem Cover: Der Schöpfer höchstpersönlich am Modellieren von Materie. Gewiss könnte man bereits an dieser Stelle einwenden, dass die Darstellung von Gott – ganz konventionell dargestellt als altehrwürdiger, Autorität ausstrahlender Mann mit wallendem weissen Haar und Bart – an und für sich bereits blasphemisch ist. Doch Crumb das zum Vorwurf machen zu wollen, wäre wohl päpstlicher als der Papst. Und wenn man der Geschichte des goldenen Kalbs aus dem Buch Mose folgen will, scheint es ja geradezu in der Natur des Menschen zu liegen, sich «ein Bildnis machen» zu wollen – sei dies nun moralisch richtig oder nicht.

 

Sex und Gewalt – wie in der Vorlage
Und natürlich: Eine Rubensfigur und markante Gesichtszüge haben die weiblichen Charaktere allesamt. Und Szenen wie der Beischlaf der beiden Töchter Lots mit ihrem durch Alkohol deliriös gemachten Vater zur Sicherung der eigenen Blutlinie irritiert selbstredend aufs Höchste. Trotzdem vermag man der Ikone der amerikanischen Comic-Gegenkultur keinen Strick daraus zu drehen: Zu keinem einzigen Zeitpunkt nämlich wird der im Original belassene Text (die deutsche Ausgabe fusst auf der Lutherbibel in der Fassung von 1912) vom Bild konterkariert, ironisiert oder ins Lächerliche gezogen. Und das Faktum, dass es in der Thora von nicht wirklich jugendfreien Sex- und Gewaltszenen – zwei Konstanten menschlichen Lebens über die Jahrtausende: erstere notwendig, zweitere bei kulturpessimistischer Sichtweise scheinbar unabwendbar – nur so wimmelt, lässt sich nun halt mal einfach nicht aus der Welt schaffen. Und möglicherweise macht ja gerade diese Mixtur die Faszination dieses Werks, das man profan gesprochen durchaus als archaischen Thriller bezeichnen könnte, über die Jahrhunderte aus.

 

Crumb, der bereits mit seiner Kafka-Monografie brillierte, hat mit seinem Comic keine weitere traditionelle Armenbibel geschaffen – vielmehr ist ihm eine mit Respekt ausgeführte und Ehrlichkeit ausstrahlende Bereicherung der Heiligen Schrift auf einer sinnlichen Ebene fernab jeglicher Sandalenfilm-Klischees gelungen. Weiteres Plus: Da der Originaltext beibehalten wurde, gibt es in «Genesis» keine Verkürzungen und Vereinfachungen, wie dies bei anderen ähnlichen Vorhaben wie etwa Sikus Manga-«Bibel» der Fall ist. Bliebe höchstens noch kritisch nachzuhaken: Ist der tabulose Meister, der inzwischen mit seiner Frau abgeschieden in Südfrankreich lebt, über die Jahre hinweg – immerhin liegt die Erstausgabe von Crumbs wegweisendem Magazin «Zap!» inzwischen über drei Dekaden zurück – zahm, angepasst, etabliert geworden, seinen gewiss einzigartigen Zeichenstil in ewiger Selbstbeweihräucherung fröhlich reproduzierend? (Und dies vor dem Hintergrund, dass sich ja auch bei seinem wilden Frühwerk eine sozialkritische Tendenz, ein reflektierender Gestus, allen üppigen Formen zum Trotz ja keineswegs von der Hand weisen lässt.) Meinetwegen. Und das ist auch gut so.

 

Dave Schläpfer, im Oktober 2009

 

PS: Übrigens – und dies nur als Randnotiz – belegt «Genesis» bei Amazon.com momentan den 17. Verkaufsrang bei den Büchern. Das Werk ist also in den USA wie eine Bombe eingeschlagen, was auch die zahlreichen Internetrezensionen belegen. Bei Amazon Deutschland muss sich dieses mit dem 6265. Rang vorlieb nehmen, was – und das ist jetzt leider Gottes nicht einmal zynisch gemeint – als Indikator bezüglich des Stellenwerts der Neunten Kunst im In- und Ausland betrachtet werden kann.

 

Übersicht der bislang auf Deutsch erschienen Bände Crumbs, wobei die meisten vergriffen sind »

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