Schreiber&Leser

Shodoku-Manga: Faszinierend und verstörend zugleich

Beim deutschen Verlag Schreiber&Leser ist in der letzten Jahren in der Reihe Shodoku ein beachtlicher Back-Katalog (meist) qualitativ hochstehender Manga zusammengekommen. Und sicher bei einer Publikation verwundert es, dass sich noch kein Sittenwächter zu Wort gemeldet hat.

Das Aushängeschild der Reihe dürften wohl nach wie vor die insgesamt sieben Bände von Jiro Taniguchi sein – dem «europäischsten aller Mangaka», was bei aller Plakativität durchaus zutreffen könnte. Merkwürdiger- oder vielleicht auch bezeichnenderweise hat dessen Werk erst durch die später bei Carlsen verlegten Erscheinungen wie «Vertrauter Fremder» oder «Die Sicht der Dinge» bei einer breiteren Öffentlichkeit die angebrachte Aufmerksamkeit gefunden. Als ob es sich um eine stille Absprache handeln würde, sind bei Schreiber&Leser ausschliesslich diejenigen Werke Taniguchis erschienen, die sich thematisch um die Faszination des Kletterns und der rauen Bergwelt drehen.

 

Der fünfte und letzte Band der 1000-Seiten-Saga «Gipfel der Götter» ist auf Comic-Check bereis an anderer Stelle ausführlich besprochen worden (zum Artikel »).

Bei «Der Wanderer im Eis» (zirka 28 Franken) handelt es sich um eine äusserst gelungene Zusammenstellung verschiedener Kurzgeschichten, wobei sich Taniguchi auch an historische Stoffe wagt, was letztlich keinen grossen Unterschied macht – die gewaltigen und unzähmbaren Naturkräfte bleiben dieselben. Erkennbar werden darin im Gegenzug das breite Wissen des Autors und seine Rechecherche-Bemühungen um Authentizität. Sehr eindrücklich ist die Lektüre von «Wilder Weisser Westen» und «Herr der Berge», in denen der Überlebenskampf zwischen erforschendem Mensch und Wolf respektive jagendem Mensch und Bär überzeugend dargestellt wird. Auch «Das Lied der Wale» dürfte dem Leser mit seinem Walfriedhof-Stoff gewiss länger im Gedächtnis bleiben.

Starkes Grossstadt-Drama
Der interessanteste, da auf den ersten Blick für den Autor untypischte Band dürfte jedoch wohl «Die Stadt und das Mädchen» (zirka 31 Franken) darstellen: Ein zurückgezogen in einer Berghütte lebender Mann erhält einen Hilferuf aus Tokio. Die adoleszente Tochter seines vor Jahren bei einer gemeinsamen Klettertour abgestürzten besten Freundes ist verschwunden. Also macht sich der Einsiedler auf in die Metropole. Eine verzweifelte Suche beginnt, wobei bald klar wird, dass es sich um ein Verbrechen handelt. Taniguchi und ein Thriller? Es mag zunächst erstaunen, doch dies funktioniert sehr gut – auch und gerade wegen des für den Autor so charakteristischen ruhigen Erzählflusses, der detaillierten Grafik (wobei übrigens 2/3 der Hintergründe von seinen Mitarbeitern gezeichnet werden, wie Taniguchi selbst sagt) sowie der Fokussierung auf das Innenleben der Charaktere. Ein weiteres Verdienst Taniguchis dürfte es sein, die Lolita-Thematik im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen einmal ganz ernsthaft (und wohl realitätsnah) aufgegriffen zu haben.

 

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Brutale Heulsuse

Der sensible japanische Künstler Yo Hinomura gerät aufgrund eines Zufalls in die Quere der chinesischen Mafia. Deswegen wird er entführt und durch eine Hirnwäsche zu einem willenlosen Tötungswerkzeug gemacht. Nur, dass er für jedes seiner Opfer Tränen vergiesst, erinnert ihn an sein früheres Leben. Eines Tages bekommt er den Auftrag die Zeugin eines seiner Mordaufträge für immer zum Schweigen zu bringen. Doch ihr letzter Wunsch, den der Freeman ihr gewährt, hat unvorhersehbare Folgen für beide.

 

«Crying Freeman», der Klassiker von Autor Kazuo Koike («Lone Wolf and Cub») und Zeichner Ryoichi Ikegami (unter anderem bekannt für die Manga-Version von Spiderman) braucht vielen nicht mehr vorgestellt zu werden. Dies vor allem aufgrund der Realverfilmung aus dem Jahre 1995. Trotz des konstruierten Story-Kniffs mit der Hypno-Gehirnwäsche, welcher beim ersten Anlesen doch etwas trashig anmutet, zeigt sich im Verlauf der Geschichte die Qualität dieses Werks. Neben dem sensiblen Erzählstil zum doch recht brutalen Thema, glänzt insbesondere auch die grafisch innovative Darstellung. Selten dagewesen ist es, wie Ikegami etwa abstrakter Sachverhalte, wie die jahrhundertealte, von Generation zu Generation weitergegebene Tradition der Gangster-Organisationen oder die komplexen, weltweiten Drogenhandelsrouten dem Leser auf einen Blick zugänglich macht. Die deutsche Übersetzung von Schreiber&Leser ist von 1993 bis 1995 in 17 Bänden erschienen. Diese sind mittlerweile vergriffen (weshalb sich diese Rezension auf die englische Ausgabe des amerikanischen Verlags Dark Horse bezieht). Eigentlich Schade, denn dieser Klassiker hätte eine Neuauflage mehr als verdient. 

Einfühlsam und reduziert
Ebenfalls unzweifelhaft ein ganz grosses erzählerisches Talent – wenn auch beschränkt auf ein ganz bestimmtes Genre – ist Kiriko Nananan. Auch hier erfolgte eine Würdigung ihres neuesten in deutscher Übersetzung erschienenen Werks «Liebe und andere Lügengeschichten» bereits an anderer Stelle auf Comic-Check (zum Artikel »). 

 

Auch der frühere Band «Blue» (zirka 27 Franken) kann sich mehr als sehen lassen. In diesem sensiblen Coming-of-Age-Drama wird die Suche nach der eigenen Identität am Beispiel von Szenen einer lesbischen Liebe greifbar gemacht: Stilistisch mit dem schwarzen Strich und dem Fokus auf die Mimik der Akteure, inhaltlich ungeschönt authentisch. Nach wie vor ein Geheimtipp.

 

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26-minütige Dokumentation auf «Arte» über Jiro Taniguchi und Kiriko Nananan »

Blutleere «Ringu»-Franchise

Eine extrem andere, ungleich düsterere Welt offenbart sich im Mystery-/Horror-Thriller «Der Selbstmordclub» (zirka 24 Franken) von Usamaru Furuya, der ebenfalls im Schülerinnen-Milieu angesiedelt ist. Die Ausgangslage: 54 Mädchen in Schuluniform werfen sich gemeinsam vor einen Zug. Nur eines überlebt den Massensuizid – und verwandelt sich in den Folgemonaten selber immer mehr in eine charismatische Sektenführerin, die weitere Schülerinnen ins Unglück zu stürzen droht.

 

Pennäler-Talk, Selbstverstümmelung, gepaart mit Nacktszenen, dunkle Chat-Nischen und eine Prise Okkultismus – und das ganz nach den gängigen Genre-Regeln angerichtet: «Der Selbstmordclub» dürfte Jugendlichen wohl recht krass einfahren, gerade weil die Story jeglicher Logik entbehrt und extrem banal, dafür umso brutaler dargereicht wird. Was der Klappentext «Ein morbides Drama um die Faszination gewisser Sekten, für die junge Menschen bereit sind, Leib und Seele zu verkaufen» soll, bleibt ein Rätsel, da ja übernatürliche Kräfte den Ausschlag für die Hörigkeit der Sekten-Jüngerinnen geben. Generell sei davon abzuraten, den Anfängerfehler zu begehen, den Manga von «hinten» anzulesen und bereits einen Blick auf den Schluss zu werfen, der vom Schema her nur allzu bekannt sein dürfte. Wer's eine Spur splatteriger mag, ziehe sich die gleichnamige Verfilmung rein, bei der das Blut unübertrieben hektoliterweise strömt, wie die auf YouTube aufgeschaltete Zug-Eröffnungssequenz deutlich macht.

 

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Die ersten 10 Minuten der Verfilmung mit englischen Untertiteln:

Man lebt nur einmal

Wer Lust auf einen harten Thriller hat, in dem es ganz schön blutig und explizit zur Sache geht, dem kann die neu angelaufene Serie «Strain» von Buronson und Ryoichi Ikegami eigentlich ohne Vorbehalte wärmstens ans Herz gelegt werden (zum Artikel auf Comic-Check »). Mit dem Kauf sollte wohl nur nicht zu lange zugewartet werden, sind doch die beiden Vorgänger «Crying Freeman» und «Sanctuary» (über eine Neuauflage des letzteren wird bei Schreiber&Leser nachgedacht) längst vergriffen und inzwischen höchstens noch auf dem Sammlermarkt zu teils sehr stolzen Preisen greifbar.

 

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Rammlerparadies mit Fehlern
Mal ehrlich: Welcher Mann hat nicht schon von hemmungslosem Sex ohne Vor- und Nachspiel fantasiert? Genau um diesen – hier allerdings von Fieberschüben und Kastrationsängten durchbrochenen – feuchten Traum geht es in «Der Casanovakomplex» von Yoji Fukuyama (zirka 24 Franken). Ein Mann steigt überstürzt bei einem Provinzbahnhof aus. Bald schon merkt er nicht nur, dass der Ort namens Uroshima auf keiner Karte verzeichnet ist, sondern dass hier auch ganz spezielle Umgangsformen herrschen. Sprich: Es wird auf offener Strasse gevögelt – und zwar treibts hier jeder mit jedem, am liebsten doggystyle (weder die Missionarsstellung noch gleichgeschlechtliche Liebe kommen vor). Der Fremdling beteiligt sich mit Eifer an der Orgie – bis er sich in die jugendliche (in Schuluniform, wie könnte es auch anders sein?) Yum-Chan «verliebt» (sofern Sex gleich Liebe ist). Von da an nimmt das Unheil in dieser merkwürdigen Zwischenwelt seinen Lauf...

 

Dass Schreiber&Leser «Comics für Erwachsene» (Eigenbezeichnung) vertreibt, wird an den hier verlegten Werken etwa von Milo Manara oder Paolo Serpieri («Morbus Gravis») schnell klar (und ist auch hochlegitim). Problematisch scheint jedoch, dass «Der Casanovakomplex» um einiges expliziter als etwa «Morbus Gravis» oder ähnliche Alben daherkommt: Auf sicher der Hälfte der Panels sind miteinander kopulierende Paare zu sehen, wobei die männlichen (erigierten – und beinahe ironischerweise vorbildlich per Kondom geschützten) Geschlechtsteile unzensiert, die weiblichen per Weichzeichner entschärft auf Papier gebannt wurden. Dies vereinfacht eine adäquate Besprechung des Mangas nicht gerade. Ohne eindimensional und prüde wirken zu wollen, lässt sich letztlich konstatieren: Etwa im Vergleich zu Alan Moores erotischem Mammutwerk «Lost Girls» (Interview auf Comic-Check ») ist die Komplexität letztlich erschreckend gering und die Aussage entsprechend klein, die mit dem – keineswegs grundschlechten – «Casanovakomplex» transport wird; sie tendiert gleich Null. (Man könnte das Werk höchstens mit viel gutem Willen als Parabel darauf sehen, dass Geschlechtstrieb und Eifersucht unweigerlich zur Natur des Menschen gehören, woraus entsprechende Folgen resultieren.)

 

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Fukuyama mit seinem Buch auf das in Japan allseits bekannte Märchen vom armen Fischer Urashima Taro anspielt, der in eine andere Zeit unter dem Meer entrückt wird. «Zig, zig, zig, zig, zig...» – die Soundword-Kulisse des Schlusspanels, welche Penetrationsgeräusche allerorten versinnbildlichen soll – vermag den Inhalt wohl am trefflichsten zu charakterisieren: Sex (umrahmt von einer dürftigen narrativen Struktur, Motiv der Traumwelt hin oder her) – nicht mehr und nicht weniger. Auf jeden Fall keine Lektüre für jugendliche Leser. Ein diesbezüglicher Vermerk auf dem Cover wäre hier wohl sicher angebracht gewesen.

 

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Vom Leistungsdruck in die Gosse getrieben
Der japanische Star-Mangazeichner Hideo Azuma wirft eines Tages alles hin und zieht psychisch angeschlagen als Obdachloser unter eine Plastikplane in den Park. Seine Erlebnisse hat er in «Der Ausreisser» (zirka 28 Franken) festgehalten. «Dieser Manga nimmt eine positive Weltsicht ein und ist vom Stil her funny, denn zuviel Realismus hält der Mensch nicht aus», lässt der Autor bereits auf der ersten Seite sein (wohl nicht zufällig kleiner als alle anderen Charaktere geratenes) Alter Ego sagen. Dies mag wohl wahr sein.

 

Mit stets lakonischem Kommentar und akribisch bis ins kleinste Detail berichtet Azuma vom Leben am Rande der Gesellschaft, seiner Alkoholsucht, Gelegenheitsjobs, der täglichen Verpflegung aus der Mülltonne und sonstigen Abstürzen. Das ist zwar vielfach erstaunlich erfrischend, geistreich und prall aus dem Leben gegriffen, aber auf 200 Seiten ausgebreitet – womit die autobiografische Story noch nicht zu Ende ist, wie man erst dann erfährt – manchmal halt doch etwas zu viel des Guten, zumal faktisch nicht allzuviel passiert. Und Einblick ins psychische Innenleben des Protagonisten wird ja nur über den Ironie-Umweg gewährt. So oder so ist klar: Anlesen lohnt sich.

 

Einen Eindruck davon, wie das Herumhängern unter Brücken wirklich war und welche Tragik dem Ganzen innewohnt, gibt übrigens das «versteckte» Interview im Innenteil der Buchdeckel: Hier erfährt man beispielsweise, dass Azuma Vater zweier Kinder ist (die im Manga nicht vorkommen). Der Kommentar des Autors: «Meine Kinder kannten mich nicht mehr. Einer war gerade eingeschult, der andere im Kindergarten.»

 

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Manhwa-Misere auf der ganzen Linie

Trotz des japanischen Label-Namens wagt der Verlag einen Blick über die Grenze zum Land der Morgenstille – Korea. Im Fahrwasser des Manga-Booms profitiert auch das koreanische Pendant, die «Manhwa». Diese unterscheiden sich von den Manga eigentlich nur in der Leserichtung, die westlich, also von links nach rechts, gehalten wird. Als Vertreter dieses Genres schickt Schreiber&Leser «Sonne und Mond» (zirka 27 Franken) ins Rennen. Darin ist Baik Il Hong ein begehrter Mann. Denn als Sohn eines berüchtigten Verbrechers ist ein hübsches Sümmchen auf seinen Kopf ausgesetzt. So wird der geistig eher minderbemittelte Protagonist in diesem vom koreanischen Mittelalter inspirierten Szenario zum Gejagten.

 

Mit dem ersten Band dieser dreiteiligen Serien leistet sich der Verlag eine Abweichung bezüglich Ursprungsland – und Qualität. Der in schwarz-weiss gehaltene Comic ist inhaltlich und gestalterisch alles andere als ansprechend. Die Mehrheit der Seiten besteht aus kleinen Panels, die unübersichtliche Kampfszenen zeigen. Eine übertriebene Menge an Speedlines und der exzessive Gebrauch von Rasterfolie machen das Ganze noch schlimmer. Hinzu kommt noch die schwankende Qualität der Zeichnungen. Dem Autor Kwan Gaya gelingen ansprechende Bilder von Tieren und Landschaften, aber bei den Menschen harzt es. Ab und zu vermag er es zwar Personen detailliert darzustellen, doch nur wenige Panels später tauchen dieselben Figuren wieder anatomisch unkorrekt auf. Auffallend sind auch die holzschnittartigen, emotionslosen Gesichtsausdrücke. Vom Ästhetischen her wirkt der Band aus dem Jahr 2001 in seiner Machart antiquiert und erinnert an Manga aus den 1980er-Jahren.

 

Inhaltlich gibt es ebenfalls kein Lob. In der Geschichte tauchen pausenlos neue Charaktere auf, nur um wenige Seiten später wieder zu verschwinden. Zu allem Überfluss kommt noch der «Humor» dazu. Wobei fraglich ist, wer sich an der Innenansicht eines Pferde-Anus, dem Anurinieren von Personen oder konstantem Erbrechen erfreuen kann (Zitat: «Er erbricht seine Organe in kleinen Stücken!»). Schreiber&Leser hatte hier nicht nur bei der Auswahl des Werks, sondern auch beim Druck ein unglückliches Händchen. Es kommt mehrmals vor, dass die Panels nicht auf die Seite passen und einige Textstellen somit nicht oder nur schwer lesbar sind. Obwohl gemäss anderen Rezensenten der Plot in den nächsten zwei Bänden besser und tiefgründiger wird, ist es zweifelhaft, dass dieser eine Qualität erreicht, welche die Tortur der ersten nahezu 300 Seiten rechtfertigen würde.

 

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Albtraum ohne Fluchtmöglichkeit
Es gibt kein Entrinnen für ihn. Der Protagonist, ein namenloser Junge, versucht immer wieder von zu Hause auszureissen – schafft es aber nicht. Das umliegende Walddickicht lässt ihn auf magische Weise immer wieder zum Haus zurückkehren. Deshalb muss er die Launen seiner Familie über sich ergehen lassen und deren bizarren Verhaltensweisen und abgründigen Vorlieben aushalten. So schrecklich das Zusammenleben auch ist, bietet es ihm doch mindestens Stabilität. Diese endet jedoch, als der verbotene Spiegel beginnt, den Kleinen anzulocken.

 

Ein abgelegenes, geheimnisvolles Haus, eine sonderbare Familie und ein verängstigter, kleiner Junge. Die Bestandteile von Hideshi Hinos «Red Snake» (erster Band der Reihe «Hino Horror», zirka 19 Franken) – das Werk ist 1985 zum ersten Mal erschienen – sind denkbar simpel. Und trotzdem, oder besser: gerade deswegen, um ein Vielfaches fesselnder als mancher Horrorfilm. Das reduzierte Szenario, welches konsequent schwarz-weiss gehalten ist und überwiegend aus engen, kleinformatigen Panels besteht, appelliert an Grundängste, wie das Eingeschlossensein. Die lediglich symbolisch angedeutete Sexualität lässt die ganze Atmosphäre noch beklemmender werden. Verstörend wirkt ebenfalls die Familiensituation des kleinen Protagonisten: Das Zuhause, in dem man sich sicher und beschützt fühlen sollte, ist eine einzige Quelle des Horrors.

 

Auf den ersten Blick fragwürdig scheinen die im karikatur-ähnlichen Stil gezeichneten Figuren. Dadurch wird der Gruseleffekt der Geschichte ein wenig entschärft, was einige Leser jedoch bestimmt zu schätzen wissen dürften. Anzukreiden ist «Red Snake» das Abtreiben ins Splatter-Genre im zweiten Teil des Bandes. Die rohe Brutalität hätte der Plot eigentlich nicht nötig gehabt. Zudem stören englischsprachige Kraftausdrücke in denselben Passagen das japanische Vorkriegsszenario. Auffallend sind letztlich die allgegenwärtigen, lautmalerischen Soundwords. Da diese japanisch gehalten und auch inhaltlich relevant sind (wie die Lockrufe des Spiegels), würde sich eine Übersetzung anbieten. Am Ende von «Red Snake» angelangt, ist man als Leser – trotz des blutrünstigen Finales – erleichtert. Doch gerade, als sich ein Ende mit Schrecken abzeichnet, setzt der wahre Albtraum ein: Der Schrecken ohne Ende.

 

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Herr über die Puppen

Volkswagenwerk, Wolfsburg: Tokio wird nach Deutschland geholt. Dem schweigsamen Japaner ist sein Ruf vorausgeeilt, ein genialer Konstrukteur von Crash Test Dummys zu sein. Dies stellt er gleich bei seiner Ankunft vor versammelter Crew eindrücklich unter Beweis: Er packt einen Puppenarm aus seinem Aktenkoffer und sticht mit einem Messer hinein, worauf eine Blut täuschend echte Flüssigkeit herausschiesst. Tokios Dummys leben! Während es VW nur um den technischen Aspekt und effizientere Versuche geht, verlangt der Japaner, dass man um die bei den simulierten Unfällen havarierten Puppen genauso trauern solle wie beim Tod echter Menschen. Und da wäre ja noch «die schnelle Helga» (siehe Coverbild) – eine Testfahrerin und starke Frauengestalt mitten unter Männern –, zu der er eine obsessive Beziehung aufbaut, die tragisch endet.

 

Der 1977 erstmals erschienene erste Band der «Der Kopf»-Trilogie der Serie «Dummy Oscar» (zirka 25 Franken), von der bei Schreiber&Leser fünf Titel vorliegen, ist auf Grund der zahlreichen Nackt- und expliziten (zensierten) Sexszenen wahrlich keine Lektüre, die man im öffentlichen Raum geniessen sollte. Auch wenn beinahe vollumfänglich – und in der Abbildung in jeder erdenklichen Pose und Einstellungsgrösse tatsächlich beinahe schon obsessiv – der weibliche sexualisierte Körper in den Fokus gerät, ist der gespiegelt gedruckte Manga meilenweit entfernt davon, als Pornografie eingestuft werden zu können. Dafür ist das erzählerische Gerüst einfach zu komplex, die dramaturgische Dichte zu hoch. Das literarische Motiv der zum Leben erweckten Puppe, des künstlichen Menschen, des Segen oder Unheil bringenden Roboters und damit auch dasjenige seines genialen, nur zu oft dem Wahnsinn verfallenen Erfinders («Mad Scientist»-Konzept), ist so uralt wie nach wie vor faszinierend – und findet sich in «Dummy Oscar» in all seinen Facetten. Dies ist gewiss dem Erzähltalent Kazuo Koikes («Kozure Okami» aka «Lone Wolf & Cub», «Crying Freeman» und «Lady Snowblood», das unlängst überraschend vom Zweiteiler zur Trilogie angewachsen ist) zu verdanken. Meisterlich in Szene gesetzt mit detailgenauen Schwarzweiss-Darstellungen der menschlichen Anatomie und Automechanik hat das Werk Seisaku Kanoh.

 

Das gute Urteil – gerade auch aus der erfreulichen Absenz von Gewalt resultierend; eher eine Ausnahme bei Gekigas – wird höchstens vom qualitativ unterschiedlichen Druck, dem arg starren Maschinenlettering und den nicht auf Deutsch übersetzten Soundwords etwas gedämpft. Der 256-seitige Band kulminiert in einem unglaublichen Klimax (im doppelten) Sinn und lässt einen kaum an der Lektüre der Fortsetzung vorbeikommen. Zudem stellt sich die berechtigte Frage, ob möglicherweise David Cronenberg für seinen kontrovers diskutierten Film «Crash» (1996) den Manga als Inspiration konsultiert haben könnte. Bei den mir vorliegenden Bänden 2 + 3 weicht ein sinnvoller Plot leider zunehmend der Dominanz pornografischer Darstellungen. (scd)

 

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«Dirty Pair 1: Sim Hell» von Adam Warren und Toren Smith (zirka 25 Franken)

 

Besprechung folgt

 

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Höhen und Tiefen
Schreiber&Leser ist es gelungen, für seine «Shodoku»-Reihe (der Titel und das dazughörige Zeichen leitet sich übrigens sinnigerweise gemäss dem Verlag vom japanischen «schreiben/lesen» ab) einige Comic-Perlen aus Fernost an Land zu ziehen. Gerade das Werk von Taniguchi und Nananan ist künstlerisch wertvoll. Bei einer genauen Sichtung des Materials zeigt sich jedoch auch, dass zum Teil enorme Qualitätsunterschiede zwischen den Werken bestehen. Inhaltlich etwa durch die auffällige Dominanz unmotivierter Gewalt- und Sexszenen bei gleichzeitiger Handlungsarmut, aber auch im handwerklichen, sprich: zeichnerischen und erzähltechnischen Bereich.

 

Durch die enorme Bandbreite der Publikationen dürfte auf jeden Fall eine breit gefächerte Klientel bedient werden. Und dies, wie sich an den vergriffenen Reihen «Crying Freeman» und «Sanctuary» zeigt, ja durchaus mit Erfolg. Die für 2009 angekündigten Erscheinungen – etwa «Bis in den Himmel» von Jiro Taniguchi, die Fortsetzungsbände von «Strain» sowie ein Werk eines berühmten Mangaka (hier wird vorerst Stillschweigen gewahrt, da der Vertrag noch nicht unter Dach und Fach ist) – versprechen auf jeden Fall einiges. Viel mehr als bei französischen oder amerikanischen Comics stellt sich auch bei diesen Manga zu guter Letzt die Frage, ob bzw. inwiefern und was sich daraus über die reale japanische Kultur herauslesen lässt.

 

Dave Schläpfer und Sasa Rasic, im Januar 2009

PS: Habt ihr übrigens den anderen, generell gehaltenen Schwerpunkt auf Comic-Check zum Phänomen Manga schon gelesen? Zum Artikel »

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