Spirou-Vermächtnis

Im Schatten des Meisters

Freilich: Im japanischen und amerikanischen Raum ist es gang und gäbe, dass Comics von einem mehrköpfigen und ständig wechselnden Team hergestellt (um nicht zu sagen: fabriziert) werden. So ist es denn auch keineswegs ein Sonderfall, dass etwa die seit 1963 bestehende Superhelden-Serie «Spiderman» als Ganzes betrachtet zutiefst heterogen und von Brüchen gezeichnet erscheint.

 

Tradition im Umbruch
Ganz anders in Europa, wo im Grossen und Ganzen nach wie vor der Autorencomic dominiert und Comicserien entweder im Alleingang oder mit einem oft langjährigen Partner (in der klassischen Text/Bild-Arbeitsteilung) produziert werden. Dementsprechend homogen präsentiert sich dann auch das vielfach bis zum Lebensende fortgeführte Oeuvre. Mit dem Ableben der «grossen» frankophonen Meister der bande desinnée wie Hergé («Tim und Struppi»), Albert Uderzo («Asterix») oder Morris («Lucky Luke») scheint sich diese Ära nun langsam aber sicher dem Ende zuzuneigen. Letztlich stehen den im Zeichen der Gewinnmaximierung stehenden Verlagshäusern vor dieser Ausgangslage exakt zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Entweder die Comicserie mit dem Tod des Autors für offiziell beendet erklären, in den Archiven nach Unveröffentlichtem graben und den Markt mit immer neuen Sammlereditionen überschütten. Oder aber die Serie mit anderen Künstlern mehr oder weniger werkgetreu fortführen, was jedoch in Puristen-Kreisen als Leichenfledderei verschrien ist.

 

Grosse Erwartungen
Wie auch immer: Bei der vom belgischen Comiczeichner André Franquin (1924-1997) geprägten Kultserie «Spirou und Fantasio» (ab 1946) jedenfalls wurde der zweite Weg gewählt. Mit dem neuen, nunmehr 45. Band «Flut über Paris» macht sich mit dem binationalen Duo Jean David Morvan/José-Luis Munuera nun schon das dritte Team daran, «Spirou und Fantasio» neues Leben einzuhauchen (Carlsen, zirka 15 Franken). Um die beiden quirligen Comic-Charaktere ist es in den letzten sechs albumlosen Jahren still geworden - entsprechend gross ist nun das Promoting durch den deutschen Verleger Carlsen Comics. Auf den Umstand, dass der Erscheinungstermin auf Grund der nach wie vor aktuellen Ereignisse in Südostasien des «Flut über Paris» betitelten Bandes nicht unglücklicher hätte sein können, wird natürlich nicht eingegangen. Zudem lässt die Pressemeldung, dass die beiden «Vorzeige-Helden einer Frischzellenkur» unterzogen worden seien, Böses erahnen.

 

Solide Leistung
Und trotzdem: Das Resultat kann sich insgesamt sehen lassen. Präsentiert wird auf 48 Seiten ein kurzweiliger Comic Strip, wobei die Story klare Nebensache ist und vielfach purer Action weicht. Wer sich jedoch trotz des rasanten Erzählrhythmus die Zeit nimmt, genau hinzusehen, kann auf den detaillierten und stilvoll kolorierten Bildern immer wieder Neues entdecken und wird mit sporadisch gesetzten Reminiszenzen an das Franquin-Universum belohnt. Man darf also zu Recht auf Band 46 (und folgende) gespannt sein.

 

Welche Version (hier von «Original» und «Kopie» zu sprechen, ist müssig) von «Spirou und Fantasio» einem eher zusagt, muss letztlich jedem selber überlassen werden. Etwas Auflockerung (oder neues Feuer) in die Diskussion mag zum Schluss die Bemerkung bringen, dass selbst Franquin nicht der eigentliche Schöpfer der beiden Figuren ist: Die erste Story derselben wurde bereits 1938 von Robert Velter publiziert. Doch das ist eine andere Geschichte...

 

Dave Schläpfer, im März 2005

 

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