Tell – The Legend Returns

Dem Schweizer Nationalhelden neues Leben eingehaucht

Wilhelm Tell als Superheld? Diese Vision hat David Boller* auf Papier gebannt. Eine kontroverse Diskussion darüber ist gemäss dem Zürcher Comiczeichner vorprogrammiert.

David Boller (41). (Bild zVg)
David Boller (41). (Bild zVg)

Comic-Check: Wie kamst du eigentlich auf die Idee einer Umsetzung des «Tell»-Stoffs? Würdest du dich als Patriot bezeichnen?

 

David Boller: Ich glaube, Patriotismus ist ein Illusion, eine Erfindung der regierenden Klasse, um das Volk gewisse Dinge machen zu lassen, die es unter normale Unständen nicht machen würde. Ich habe das deutlich nach 9/11 gesehen, als ich damals noch in den USA wohnte. Gerade ausserhalb von New York ging jede Logik vergessen. Wollte man die Umstände hinterfragen, wurde man sofort als unpatriotisch oder verräterisch bezeichnet. Als Resultat ging die USA in einen Krieg, der Tausende von Opfern auf beiden Seiten forderte. Diese Haltung ist nur gefährlich, sondern verdammungswürdig. Darum geht es in meinem Comic auch. Es geht mir darum zu zeigen, wie mit der Manipulation eines patriotischen Symboles die Bevölkerung gesteuert werden kann.

 

Was sind die Parallelen und Unterschiede zur Sage bzw. zum Drama von Friedrich Schiller und weshalb hast du die Story so konzipiert? (Hast du dazu Quellen konsultiert? Welche?)

 

Boller: Meine «Tell»-Geschichte ist ja keine Abhandlung historischer oder literarischer Quellen, sondern ein neues Thema, das in der Schweiz der nahen Zukunft spielt. Obwohl die Tell-Figur am Anfang nicht weiss, wer sie ist, wird sie sich im Verlauf der Erzählung sukzessive an Informationen bekanner Quellen erinnern. Vielleicht sollte man meinen Comic mehr als Aufarbeitung, locker inspiriert von literarischen Quellen, bezeichnen. Als Haupteinfluss würde ich mehr die Geschehnisse der letzten zehn Jahre in der Welt sehen: Die Terrorwelle, die Finanzkrise, die Ölkriege und die zunehmende Verarmung der Mittelklasse.

Kommt in der Geschichte auch ein Pendant zu Gessler als Widersacher von Tell vor?

 

Boller: Soweit ist noch nichts geplant, aber man könnte schon sagen, dass die Bösewichter schon etwas von Gessler haben. Nur sind sie natürlich im Jahre 2032 viel subtiler und daher auch viel grausamer.

 

Ganz allgemein gefragt: Wieso eigentlich eine Aufarbeitung im Superhelden- und Action-Gewand?

 

Boller: Ich hatte schon lange die Idee, einen Schweizer Superhelden-Comic zu konzipieren. Was mich fasziniert hatte, war ein Comic mit lokalen Helden vor lokalem Hintergrund zu schreiben, diesen aber in einem durch und durch unschweizerischen, also amerikansichen Stil zu illustrieren. Dieser Gegensatz hat mich immer interssiert. Ich wollte auch etwas kreieren, das sich international zeigen lassen kann. Jeder Amerikaner kennt Tell, und wenn es so präsentiert wird, dass sie es ihrer Sensibilität entspricht, werden sie den Comic auch lesen und sich vielleicht ein paar Gedanken machen.

 

Besteht (trotz Verlegung der Handlung in die Zukunft) nicht die Gefahr einer Verherrlichung von Tell? Oder siehst du da keine Probleme darin?

 

Boller: Verherrlichung nur in dem Sinne, dass eine solche Verherrlichung heutzutage auch den Tatsachen entspricht. Patriotismus ist der direkte Nachbar von Fanatismus. Leute werden unter diesem Vorwand in den Krieg geschickt für ihr Land. Wenn sie es mit Glück nach Hause schaffen, werden sie als Helden verehrt. Leute, die andere Leute unter anderen Umständen umbringen, sind Mörder und kriegen die Todesstrafe. In anderen Worten: Töten ist gut, man wird sogar dazu ermutigt, wenn es um Patriotismus geht, aber unter anderen Umständen ist man ein Schwerverbrecher. Ich erkenne diesbezüglich eine absolut manipulative und schizophrene Grundhaltung in unserer Gesellschaft.

Verfolgst du mit dem Werk überhaupt ein pädagogisches Ziel? Welches? Oder soll die Lektüre «nur» zum Zeitvertrieb sein?

 

Boller: Obwohl ich die Leser nicht belehren will, habe ich natürlich im Hinterkopf, dass der eine oder andere, der das Buch liest, sich fragt, wie er auf gewisse Situationen reagiert hat. Das heisst, sich auch selbst analysiert und vielleicht auch im täglichen Leben sein Umfeld etwas anders betrachtet. Aber sind wir mal ehrlich, etwas mit Kunst verändern zu wollen, wird wohl für immer eine Illusion bleiben. Vielleicht mache ich das Buch auch für mich selbst, weil es gewisse Frustrationen gibt, die ich loswerden möchte und das Superheldenformat als optimales Transportmittel sehe.

 

Wie entsteht «Tell» eigentlich? Hast du ein klares Drehbuch oder entwickelst du die Serie ad hoc von Woche zu Woche spontan weiter?

 

Boller: Ich habe die Geschichte zum grössten Teil locker ausgearbeitet und weiss, welche Szenen wann vorkommen, aber habe das Ende noch nicht im Detail geplant. Das ist für mich auch spannender, denn ich lasse mich bei der Arbeit auch ab und zu gerne überraschen. Der gesamte «Tell»-Zyklus ist auf drei Graphic Novels angelegt, die auch die drei Akte eines Filmes sein könnten. Ich habe Buch 1 jetzt in Arbeit, aber habe nur eine lose Idee, wohin ich mit den anderen Büchern gehen möchte. Allerdings kriege ich heutzutage genug Stoff für Ideen, wenn ich mir nur die Nachrichten anschaue. Das wird sich wahrscheinlich während der nächsten paar Jahre nicht ändern.

 

Du erwähnst im Projektbeschrieb «Watchmen» und «The Dark Knight Returns» als Referenzen… Weshalb genau diese Bände?

 

Boller: Diese zwei Werke haben Ende der 80er-Jahre die Superhelden nachhaltig verändert und sind auch noch bis heute unerreicht in ihrem Einfluss und Tiefe. Obwohl ich keine grossen Hoffnungen habe, auch nur annähernd deren Einfluss zu erreichen, muss ich mich wohl gegen oben orientieren. Beide Bücher waren ein grosser Einfluss auf mich, als ich sie 1986 in New York entdeckte. Sie sind auch in ihrer Grundhaltung zynisch und unkalkulierbar, was mir mit diesem Projekt auch vorschwebt. Das wird kein Comic über Tell, der Katzen von den Bäumen rettet oder kleine Kinder vor dem Ertrinken bewahrt. Ich kann mir vorstellen, das viele Schweizer, die die Ironie und Satire hinter meinem Comic nicht verstehen werden, nicht sehr glücklich über meine Geschichte sein werden. Aber das war auch schon Frank Millers Problem.

 

Das Interview führte Dave Schläpfer im November 2009

 

* David Boller (* 1968 in Zürich) absolvierte Anfang der 90er-Jahre die «Joe Kubert School of Graphics and Cartoon Art» in Dover, New Jersey, USA. Nach dem Abschluss arbeitete er für so namhafte Verlage wie Marvel, DC oder Wild Storm. 1996 wurde Boller für den Russ Manning Award als vielversprechendes neues Talent nominiert. 2008 zog es ihn wieder in die Schweiz zurück, wo er sein Online-Projekt «Zampano» begann, wo auch kontinuierlich die neuen Seiten von «Tell» publiziert werden. Im Sommer 2010 soll der erste Band dann in Papierform erscheinen. David Boller lebt mit seiner Frau Mary und drei Hunden bei St. Gallen.

 

Zum «Tell»-Comic auf David Bollers «Zampano»-Website »

Auf «Zisch» veröffentlichter ergänzender Artikel zum Thema »

 

Notiz am Rande: Teile dieses Interviews haben (natürlich auch mit der Einwilligung von David Boller) Eingang ins französische Deutsch-Lehrmittel «Team Deutsch Lycée – Allemand Première» des Verlags Editions Maison des Langues gefunden ;)

Exklusiv: Die ersten vier noch unkolorierten und unbetexteten «Tell»-Seiten

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Kommentare: 2
  • #1

    phil (Sonntag, 30 Mai 2010)

    ich habe probegelesen...würd ich mir kaufen :-)

  • #2

    Jan (Montag, 27 Juni 2011 20:24)

    Hallo liebe Schweizer Comic Freunde,

    bitte unterstützt euren Helden, indem ihr http://www.pling.de/ besucht und den neuen zweiten Band mitfinanziert. =)

    Jan
    Team pling*