Stray Bullets

Dritter Anlauf für David Laphams «Querschläger»

Ein hochdekorierter, aber vergessen gegangener Crime-Noir aus den 1990ern erhält nochmals eine Chance. Dies hat den eigentümlichen Effekt, dass ein Rezensent ein halbes Jahr vor dem Erscheinen bereits indirekt die Werbetrommel rührt – und trotzdem recht verhalten bleibt.

Der Sammelband zur US-Serie «Stray Bullets», der die mit dem Eisner Award für das beste Graphic Album bedachten Bände 1-7 enthält, erscheint zwar erst Mitte August 2009, doch da es sich um eine Neuauflage bereits publizierten Materials handelt, erscheint eine Besprechung zum jetzigen Zeitpunkt durchaus sinnvoll (Ehapa, zirka 50 Franken).

 

Auf Deutsch war dem von der Presse hochgelobten Crime-Noir-Werk aus der Feder von David Lapham (die «Woche» rühmte es vollmundig als «Pulp Fiction der Comics») bislang verlegerisch leider nicht gerade viel Erfolg beschieden: Die ersten sieben Bände erschienen ab 1996 bei Feest, nachher hatte der Kleinverlag Schwarzer Turm, der durch die Publikation von «Menschenblut» einen gewissen Ruf erlangt hatte, bis und Band 22 das Ruder übernommen. Anfangs 2003 war hier zu Lande dann endgültig Schluss. (Michael Möller von Schwarzer Turm: «Der Arbeitsaufwand stand leider in keinem Verhältnis mehr zu den Verkaufszahlen.») In den USA führte «Stray Bullets» noch zwei Jahre weiter ein unstetes Dasein, wobei die Hefte immer länger auf sich warten liessen. Selbst für Lapham selber ist der mit Band 32 gesetzte Schluss nicht befriedigend – irgendwann werde er den Zyklus zu einem adäquaten Ende bringen, liess er vor einiger Zeit in einem Interview verlauten.

Frank Miller und Tarantino
«Stray Bullets» nun nochmals eine Chance zu geben, ist löblich. Zumal es sich gerade um diesen ersten Zyklus handelt, der wie ein Bombe einschlug und mit seiner Grafik in hartem schwarz-weiss Kontrast und kruden Halbwelt-Milieu-Geschichten Vergleiche mit Quentin Tarantino und Frank Miller buchstäblich herausforderte. Das erste Heft «Wo die Liebe hinfällt» ist dabei ein besonderes Kleinod grafischen Erzählens: Eigentlich muss der junge Joey dem hartgesottenen Frank nur dabei behilflich sein, eine Leiche verschwinden zu lassen. Doch seine Nervosität (und seine eigene Geschichte, doch davon erfährt der Leser erst in einem der nächsten Bände) trägt das seine dazu bei, dass die beiden bald einen Wagen voller Toten am Hals haben... Ebenfalls herausragend und vom Niveau her in den Folgeheften kaum mehr erreicht dürfte die nachfolgende Episode «Das Rauschen im Walde» sein, wo die kleine Ginny Zeugin eines Mordes wird, was ihr ganzes Leben nachhaltig verändert – und tragisch endet.

 

Bereits an dieser Stelle werden die beiden Prämissen deutlich, die David Lapham zum Zeitpunkt des ersten Erscheinens der deutschen Ausgabe in einem Nachwort aufgestellt hat – und an denen er möglicherweise auch gescheitert ist, ja geradezu scheitern musste: «Stray Bullets ist eine fortlaufende Serie. Jede Ausgabe hat eine eindeutige und wichtige Beziehung zu den anderen. Es gibt einen Zusammenhang.» Und: «Stray Bullets, wird so lange fortgesetzt, bis ich euch sage, dass wir am Ende angelangt sind.» Lapham springt dementsprechend von Heft zu Heft durch Zeit und Raum, führt neue Charaktere ein und zeigt patchworkartig deren Werde- und schliesslich auch Untergang. Dabei stehen oft Kinder und deren zerrüttetes Leben in kaputten Familien im Fokus. Daraus ergeben sich an sich spannende, aber wie im Fall der pubertierenden Amy Racecar, deren Geschichte sich über mehrere Hefte ausbreitet und zwischen Traum und Wirklichkeit hin- und herpendelt, mit der Zeit zugegebenermassen auch etwas langatmig zu lesende Psychogramme.

Es müssen nicht alle 32 Hefte sein
Es stellt unweifelhaft ein grosses Verdienst Laphams dar, möglichst viele Facetten in seine Sex&Crime-Stories eingebaut zu haben, womit das Genre bereichert und mehrdimensionaler geworden ist. Ohnehin handelt es sich bei zahlreichen Episoden genau genommen eher beinahe schon um Dramen im eigentlichen Sinn. Dies logischerweise jedoch nicht zur Freude aller Fans, die gerne wieder mal einen wirklich harten Gangster-Plot zu lesen bekommen hätten und bei denen Laphams verzweifeltes Bemühen um einen Punkt, an dem sich alles auflöst, ineinander greift und plötzlich klar wird, Staunen inklusive, zudem je länger je mehr einen lauen Beigeschmack hinterliess. – Kurz und gut: Wie gesagt, tut eine Re-Edition schon lange Not und verdient den nötigen Respekt, aber möglicherweise könnte es sich angesichts der (hier einfach mal frech konstatierten) bröckelden Qualität der Hefte ab Band 8 (oder aber sicher ab Band 13) durchaus auch als gescheit erweisen, den nun bald vorliegenden «Stray Bullets»-Sammelband sich zwar sicher anzuschaffen, diesen jedoch ohne Scheu und schlechtes Gewisses ganz bewusst als One Shot zu konsumieren und – die losen Enden einfach ignorierend – auch als solchen zu geniessen und zu würdigen. Wer sich übrigens eine wirklich offiziell abgeschlossene Graphic Novel David Laphams wünscht, kann sich seine ebenfalls im Alleingang angefertigten und bis dato nur auf Englisch vorliegenden Werken «Murder Me Dead» und «Silverfish» zu Gemüte führen.

 

Dave Schläpfer, im Januar 2009

 

Überblick über die bislang auf Deutsch erschienenen «Stray Bullets»-Bände »

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